Körper und Lebensgefühl –
Eine Einführung
„Körpergefühl und Lebensgefühl hängen eng zusammen.
Wie wir uns in unserem Körper fühlen, färbt unsere Wahrnehmung.“
(Isa Grüber „Was der Körper zu sagen hat“, S.149)
Unser Körpergefühl beeinflusst unser Lebensgefühl.
Und umgekehrt.
Was wir erleben, beeinflusst wie wir uns wahrnehmen.
Wie wir uns in unserem Körper wahrnehmen, beeinflusst, wie wir uns selbst oder die Welt erleben.
Wie gut wir uns im Körper wahrnehmen können, beeinflusst, wie gut wir uns abgrenzen können oder wie differenziert wir unsere Bedürfnisse erkennen und für sie eintreten können.
Denn unser Körper kommuniziert mit uns. Die ganze Zeit.
Über den Spannungszustand unserer Muskeln, über feine Bewegungsimpulse, über Temperatur-, Druckschwankungen, über unsere Atmung, über das Erregungsniveau unseres Nervensystems, unseren Herzschlag, usw.
Je bewusster wir für unsere Körperempfindungen sind, umso differenzierter können wir die Signale unseres Körpers wahrnehmen.
Er zeigt uns, wann eine Grenze erreicht ist, wann wir uns wohl fühlen im Kontakt, was uns guttut oder was ihm Stress verursacht. Wir bekommen ein Gespür für unsere tieferen Bedürfnisse.
Und wenn wir bewusst für unsere Körperempfindungen sind, kann es uns gelingen, indirekt auch Einfluss zu nehmen auf unser Empfinden und das Nervensystem, indem wir bewusst Signale von Sicherheit senden.
Der Körper – Sprachrohr und Feedbacksystem
Menschen sind soziale Wesen. Und Menschen sind körperliche Wesen.
Bereits unser erster Kontakt zu anderen (im Mutterleib und danach) findet über den Körperkontakt, über die Haut statt.
Doch auch später kommunizieren wir nicht nur über Worte, sondern mit unserem ganzen Körper, mit unserem gesamten Sein.
Der Körper ist unser Zuhause.
Ohne ihn können wir nicht leben.
Über den Körper treten wir in Kontakt mit anderen.
Der Körper ist unser Sprachrohr und Feedbacksystem zugleich.
Wir kommunizieren nicht nur mit Worten, sondern mit unserem ganzen Sein.
Mit unserer Haltung, Mimik, Gestik, Stimmlage, unserem Tonus, unserem Raumverhalten und unseren Körpergrenzen u.v.m. senden wir Signale.
Doch unser Körper nimmt auch permanent Signale (weit über das gesprochene Wort hinaus) auf.
Er ist Resonanzraum für das, was andere kommunizieren.
Und unser Körper kommuniziert mit uns. Er kommuniziert von innen und nach innen.
Er sendet wahrgenommene Signale von Sicherheit oder Bedrohung, Hinweise über unsere Empfindungen, über unseren Zustand, über feinste Regungen und Veränderungen, über Reaktionen im Innern auf das Außen an unser Gehirn.
Wusstest du, dass ca. 80% der Informationen über den Körper zum Gehirn laufen?
Das Gehirn nimmt nur 20% der Informationen direkt auf!
Je präsenter wir in ihm zuhause sind, desto lebendiger können wir uns fühlen, desto mehr Lebensqualität laden wir in unser Leben.
Denn je besser wir unseren Körper spüren, umso empfindsamer werden wir für die Reaktionen von innen und außen,
für die feinen Signale und Regungen, die uns signalisieren, ob sich etwas sicher anfühlt oder nicht.
Und umso besser können wir dann sowohl unsere Bedürfnisse als auch Grenzen wahrnehmen und kommunizieren.
Für ein kohärentes Leben, in dem wir unsere Grenzen
und Bedürfnisse leben und authentisch kommunizieren können,
brauchen wir die Präsenz im Körper.
Der Körper gibt uns Informationen über unseren eigenen Zustand – und über den unseres Gegenübers.
Die Interpretation solcher Körperempfindungen findet jedoch oft kaum merklich statt.
Sie geschieht häufig rasch und intuitiv, schneller als unser bewusster Verstand.
Häufig haben wir verlernt, diese Empfindungen bewusst und differenziert wahrzunehmen.
Doch mit ein bisschen Übung ist es möglich, sich hiermit wieder vertraut zu machen!
Wie eine Empfindung zu einem Gefühl wird
Unser Körpergefühl, etwa der Spannungszustand
der Muskeln oder das Erregungsniveau des Nervensystems,
beeinflussen unser Lebensgefühl.
Permanent „scannt“ unser Körper unsere Umgebung und Reize von innen und außen und zwischenmenschlich und gleicht Erfahrungen blitzschnell mit alten Erinnerungen ab (Neurozeption): fühlt es sich sicher an oder gefährlich?
Unser Gehirn wertet die Information aus, die unser Körper sendet (sog. somatische Marker):
kleinste Regungen und Muskelanspannungen bis hin zu starken Körperempfindungen, Kribbeln, Zittern, Hitze, Enge, Weite, Druck, Temperaturschwankungen, Schwindel, Herzklopfen, Schweißausbrüche, usw.
Fast immer steht am Anfang eines Gefühls eine Körperempfindung.
Unser Gehirn interpretiert diese dann sofort um in ein Gefühl.
Beinah gleichzeitig erfolgen daraus auch schon unsere Verhaltens- und Reaktionsmuster.
Unser Gehirn interpretiert Körperempfindungen als Gefühlszustände.
Das beeinflusst, was wir in bestimmten Situationen fühlen, wie wir uns selbst wahrnehmen, wie wir die Welt sehen.
Es beeinflusst unsere Schutz- und Überlebensmechanismen.
Es beeinflusst, wie nah wir Menschen an uns heranlassen können oder ob sich z.B. alte Beziehungserfahrungen wieder und wieder reinszenieren.
Hast du schon einmal wahrgenommen, dass sich bestimmte Gefühlszustände im Körper sehr ähnlich anfühlen können?
Z.B. Verliebtheit und Angst: bei beidem wird uns flau im Bauch, es kribbelt und uns wird vielleicht ganz heiß. Die Empfindung allein macht noch keine Emotion aus.
Es ist die Interpretation, die den Unterschied macht.
Dies geschieht aber zunächst ganz unbewusst und automatisch.
Hochstresserfahrungen und Verlust des Körpergefühls
Traumatische oder stark belastende Erfahrungen führen dazu,
dass wir die Verbindung zu unserem Körper und zu uns selbst verlieren –
und damit auch die Verindung zu anderen.
Traumaerfahrungen übersteigen unsere Bewältigungsmöglichkeiten.
Traumatische Erfahrungen oder Hochstresserfahrungen führen dazu, dass wir die Verbindung zum Körper verlieren und die Wahrnehmung von Körperempfindungen eingeschränkt oder abgeschaltet wird – als Überlebensreaktion,
aus Schutz vor emotionalem oder physischem Schmerz oder zur Funktionalität.
Das geschieht unbewusst und autonom.
Häufig bleibt dieser Zustand einer eingeschränkten Wahrnehmung jedoch auch nach einer Hochstresserfahrung erhalten.
Körperempfindungen werden dann häufig entweder kaum bis gar nicht wahrgenommen oder als sehr beängstigend erlebt,
oftmals auch beides im Wechsel.
Tatsächlich ist es so, dass das Gespür für den eigenen Körper bei sehr vielen Menschen in unterschiedlicher Ausprägung abhanden gekommen ist.
Doch bemerken wir das in der Regel nicht mehr, denn was wir gewohnt sind, scheint für uns erstmal „normal“ (und das Gespür dafür ist ja eben auch herabgesetzt!).
Frühe Bindungsverletzungen werden häufig bagatellisiert oder verdrängt, wir neigen auch als Erwachsene zum Funktionieren.
Der Körper wird oftmals nur noch bei Beschwerden wahrgenommen.
Die Folge davon ist nicht nur die Verflachung von Gefühlen, von Empfindungen auf der einen Seite, es kann auch zu einer dauerhaft erhöhten Grundspannung und Alarmbereitschaft auf der anderen Seite führen.
Die Verbindung zum Körper ist unterbrochen bzw. wird als unangenehm wahrgenommen.
Sich nicht mehr präsent im Körper zu spüren, bedeutet einen Verlust des Grundgefühls von Sicherheit und Kohärenz.
Es bedeutet einen Verlust an Lebendigkeit.
Und immer auch einen Verlust von Verbindung: zu sich selbst und schließlich auch der Verlust einer echten, lebendigen Verbindung zu anderen.
Die eigenen Bedürfnisse und Grenzen werden so weniger gut wahrgenommen.
Die Fähigkeit zu Empathie und Feinfühligkeit kann abnehmen.
Traumaerfahrungen brauchen korrigierende Erfahrungen im Kontakt, mit sich und in Beziehung.
Um einen nährenden, tragenden, heilsamen Kontakt wirklich wahrnehmen zu können, um für Grenzen und Bedürfnisse kohärent eintreten zu können, für lebendige Erfahrungen von Verbindung brauchen wir den eigenen Körper und unsere Körperempfindungen.
Körpergefühl und Lebensgefühl hängen eng zusammen.
Unsere Gesellschaft funktionalisiert den Körper.
Wir haben verlernt, ihn differenziert wahrzunehmen.
Doch es lohnt sich, unserem Körper und unseren Körperempfindungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Denn präsent zu sein im Körper und bewusst zu sein für die eigenen Empfindungen erhöht die Lebensqualität.
Wenn wir die feinen Signale im Körper zu spüren beginnen, lernen wir die Hinweise, die er uns über unseren Zustand gibt, zu verstehen.
Dementsprechend können wir sie einordnen und darauf bewusst und rechtzeitig Einfluss nehmen, regulieren, handeln oder gegensteuern, ohne viel zu spät überwältigt zu werden.
Sich bewusst mit dem Körper und seinen feinen Signalen rückzuverbinden und den Empfindungen einen Raum zu geben, kann dabei helfen, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen besser und differenzierter wahrzunehmen und diese authentisch zu kommunizieren.
Den Körper differenziert wahrzunehmen, ermächtigt und macht uns selbstwirksamer.
Gleichzeitig führt die Präsenz im Körper in ein lebendiges Leben in Verbundenheit mit allem, was sich in uns zeigt und ermöglicht erst echte, nährende, warme und wohlwollende, empathische Verbindungen zu anderen.
Weiteres zum Thema findest du in meinem Artikel:
Von der Kunst zu spüren. Über Körpergefühl, Ressourcen und Resilienz.