Silke Müller
Wir verlieren unsere Kinder!
Über digitale Ethik und die Gefahren digitaler Netzwerke
(Sachbuch, Verlag, 2023, 224 Seiten)
„Medien gehören nicht nur zum Alltag,
sondern sie sind der Alltag
von Schülerinnen und Schülern.“
(S.104)
Inhalt
- Worum geht es?
- Autorin und Vision
- Wertverlust und Verrohung
- Was erleben Kinder und Jugendliche?
- Die digitale Welt ist (nicht) die reale Welt?
- Digitale Ethik
- Schule und Bildungsauftrag
- Vision – ein ethisches Bewusstsein entwickeln
- Zum Buch: Wir verlieren unsere Kinder – Silke Müller
- Weitere Informationen zum Thema (Podcasts, Links, etc.)
Worum geht es?
Wie gefährlich können digitale Netzwerke für die psychische und physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sein?
Und wie wichtig ist es, dass wir informiert darüber sind und für einen sicheren Umgang sensibilisieren?
Digitale Medien, soziale Netzwerke und Plattformen sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Bereits im Grundschulalter, spätestens aber ab der fortführenden Schule besitzen nahezu alle Schülerinnen und Schüler ein eigenes Smartphone.
Jugendliche nutzen ihr Smartphone bereits zehn Stunden oder länger täglich. (S. 172)
Soziale Netzwerke und Plattformen, Gaming-Portale und Chats sind nicht nur Zeitvertreib, sie bedeuten auch Kommunikation und soziale Zugehörigkeit.
Sie sind Teil der Identität, der Beziehungspflege.
Sie sind ein fester Bestandteil der Kinder- und Jugendkultur geworden.
Doch was sehen und erleben Kinder und Jugendliche hier täglich?
Ist das Posten von unbedachten Fotos und Videos wirklich so harmlos?
Geht es bei TikTok-Challenges nicht einfach nur um Spaß?
Auch viele Erwachsene schauen lieber nicht so genau hin:
Cybergrooming, Cybermobbing und das Schauen von Videos mit gewaltvollen Inhalten „habe ja nichts mit der realen Welt zu tun“.
Wirklich?
Autorin und Vision
Silke Müller ist Schulleiterin einer Oberschule und erste niedersächsische Digitalbotschafterin.
Sie setzt sich bundesweit für digitale Schulentwicklungsprozesse ein, vor allem aber für eine digitale Ethik, um Kindern (und Erwachsenen) dabei zu helfen, einen gesünderen und sicheren Umgang mit digitalen Medien zu finden.
An ihrer Schule wurde erstmalig eine Social-Media-Sprechstunde eingeführt, in der Jugendliche die Möglichkeit erhalten, über Belastendes, was sie im Netz erleben, in vertraulichem Rahmen zu sprechen.
Diese Sprechstunde war innerhalb kürzester Zeit nahezu überlaufen und zeigt deutlich, wie dringend eine Neu-Orientierung und Begleitung im Umgang mit sozialen Medien nötig ist.
Wertverlust und Verrohung
Wer sich in den sozialen Netzwerken bewegt, hat längst bemerkt, dass hier nicht immer alles freundlich und wohlgesinnt ist.
Hassrede, Aggressivität, Diskriminierung, Respektlosigkeit, Intoleranz, sexualisierte bzw. rassistische Inhalte, Selbstdarstellungen sind mittlerweile „Normalität“ geworden.
In der digitalen Welt scheint es einen rechtsfreien Raum zu geben, in dem oft das Recht des Lautesten zählt.
Hier existiert eine Welt, die von zunehmendem Werteverlust, Unmenschlichkeit, Manipulation und Gefährdung der psychischen und physischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (und Erwachsenen) begleitet wird.
Respekt, Toleranz, Verständnis, Empathie, Mitmenschlichkeit und Courage nehmen im selben Maße ab.
Ist die Menschenwürde noch immer unantastbar?
Was erleben Kinder und Jugendliche?
(CW: diverse Formen von Gewalt)
Es sollte uns zum Nachdenken bringen: eine steigende Verrohung, mangelnde Empathie, der fehlende Wille, Verantwortung für unser Handeln oder für andere zu übernehmen, hat Auswirkungen.
Werte für ein friedliches Miteinander gehen verloren.
Wie selbstverständlich werden Fake News oder gefakte Videos und Bilder (Deepfakes) geteilt.
Auch die Flut an immer gewaltsameren Bild- und Videomaterial ist erschreckend.
Kinder sehen heute problematische, befremdliche, verstörende oder gar traumatisierende Inhalte.
z.B. Videoclips mit brutalen, realen Szenen, in denen Menschen oder Tiere gequält, missbraucht oder gefoltert werden.
Per anonymen AirDrop landen diese (teils strafbaren Inhalte) auf ihren Smartphones oder sie werden in Klassenchats verbreitet.
Cybermobbing ist längst Alltag vieler Jugendlicher:
heimlich gemachte Fotos werden in eigens dafür angelegten Chat-Gruppen oder Fake-Profilen geteilt, es wird ausgegrenzt, beleidigt und diskriminiert.
Intime und private Bilder werden im Vertrauen gesendet und landen dann ungeahnt in der Öffentlichkeit oder werden zum Erpressen genutzt und können psychisch schwer belasten.
Auch vermeintliche, unüberlegte 24-h-Posts können langfristig die Runde machen – wie schnell ist ein Screenshot gemacht und endlos verbreitet – und können dramatische Folgen für Betroffene haben.
Das Internet vergisst nicht.
Die Gefahr von Cybergrooming (Anbahnung sexueller/pädokrimineller Absichten gegenüber Minderjährigen) ist nicht nur auf TikTok und Instagram sehr hoch, sondern auch in den Chats von Online-Games.
Auf Instagram oder TikTok wird zu riskanten Challenges oder Trends aufgerufen – und der soziale Druck zwingt zum Mitmachen.
Kinder und Jugendliche sind damit oft überfordert, geraten in ausweglose Situationen.
Doch bleiben sie oft allein damit.
Denn nicht selten verhindern zusätzliche Schamgefühle, sich an Erwachsene zu wenden und um Hilfe zu bitten.
Die digitale Welt ist (nicht) die reale Welt?
Holen wir die Kinder noch in ihrer Lebenswelt ab?
Verstehen wir diese oder interessieren wir uns dafür, was Kinder und Jugendliche im Netz alles sehen und erleben und verarbeiten müssen?
Eine Lebenswelt, die sich zu großen Teilen aus Liken, Swipen, aus Selfies und ähnlichem definiert.
Eine Welt, in der Hassrede, Beleidigungen, Mobbing und Ausgrenzung normal geworden sind, in der eigene Wahrheiten und Meinungen über Faktenkenntnis stehen, Gefühle und Gedanken und private Fotos ungefiltert ausgetauscht bzw. verbreitet werden.
Viele Jugendliche sind nicht mehr nur Konsumenten, sondern auch Produzenten, Schauspieler und Redakteure geworden.
Ist die analoge von der digitalen Welt also überhaupt noch zu trennen, nachdem diese nicht mehr nur der Wissensbeschaffung, sondern vielmehr der menschlichen Kommunikation, der alltäglichen Unterhaltung und der sozialen Zugehörigkeit dient?
Beides zusammen bildet mittlerweile die komplexe Lebenswelt von uns und unseren Kindern ab.
Reichen eine eingeschränkte Bildschirmzeit, ein Filter oder gar ein Smartphone-Verbot aus, um ausreichend zu schützen?
Nein, meint die Autorin.
Angesichts der sozialen Bedeutung und bzgl der Kompetenzentwicklung eines kritischen Medienverständnisses sei dies nicht zielführend.
Digitale Ethik
„Schülerinnen und Schüler brauchen eine ethische Orientierung
zur Bewertung von Informationen
auf dem Weg zur eigenen Medienmündigkeit“
(S. 103)
Kinder werden heute außerhalb des Elternhauses, durch die sozialen Netzwerke, in einer ganz anderen Weise sozialisiert, beeinflusst und teils manipuliert, als unsere Generation es kennt.
Medien beeinflussen Weltbilder, Lebensentwürfe, Werte und Normen, Persönlichkeitsentwicklung und Identität.
Wir brauchen daher ethische Werte und Normen im Umgang im Netz (und außerhalb).
Wir brauchen Werte und Normen für ein friedvolles Miteinander im Netz als Grundwert unserer Gesellschaft.
Es ist unsere Aufgabe, Kindern ein Grundverständnis über Algorithmen, künstliche Intelligenz, die Chancen und Gefahren im Netz zu vermitteln.
Es ist unsere Aufgabe, Kinder über die moralische Tragweite ihres Handelns sowie die Relevanz von Bürgerrechten aufzuklären und für einen verantwortungsvollen Umgang im Miteinander im digitalen Raum zu sensibilisieren.
Sie brauchen Unterstützung im Aufbau von Kompetenzen, um ihre Privat- und Intimsphäre zu schützen, die Fähigkeit des kritischen Denkens und Hinterfragens und zur informationellen Selbstbestimmung aufzubauen.
Dafür brauchen Kinder und Jugendliche echte Begegnungen auf Augenhöhe, die hinsehen, die zuhören, die verstehen, die Hilfestellungen im Erarbeiten von Lösungswegen anbieten und Angebote, zu reden.
Schule und Bildungsauftrag
„Gerade in der Schule müssen wir die jungen Menschen für die Zukunft vorbereiten,
und das funktioniert nur, wenn wir die Gegenwart, sprich die digitale Arbeit, auch in die Schule holen“
(S.47)
Digitale Welt ist heute ein wesentlicher Teil unseres gesamten Seins.
Wir brauchen daher einen grundlegenden Wechsel in unserem Anspruch an Bildung und eine grundlegende Reform, um Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenswelt abzuholen.
Wir können der digitalen Entwicklung nicht gerecht werden, wenn sie nur eine Ergänzung zum tradierten Schulalltag und Lehrplänen bleiben.
Wir brauchen nicht nur neue Methoden, Unterrichtsmodelle, Technisierung.
Wir brauchen zeitgemäßes Lernen.
Lehrerinnen und Lehrer sollten daher nicht nur Wissensvermittler sein, sondern auch Wertevermittler.
Die Nutzung der digitalen Welt kann großes (Lern-)Potential haben, Motivation, Kreativität und Selbstwirksamkeit fördern – wenn wir sie richtig nutzen.
Sie darf nicht nur ein Zusatz, sondern muss Teil einer zeitgemäßen Bildung sein.
Vision – ein ethisches Bewusstsein entwickeln
Vor allem aber muss es unsere Aufgabe sein, „uns selbst und vor allem unsere Kinder auf diese Herausforderungen durch künstliche Intelligenz und Entwicklungen, Chancen, Grenzen des Internets moralisch, ethisch und vor allem mit einem kritischen Bewusstsein vorzubereiten.“
(S.23)
Denn letztendlich geht es um die Entwicklung einer Gesellschaft, in der ein friedvolles Miteinander, Mitmenschlichkeit und Empathie grundlegende Werte sind.
Es geht um demokratische Werte von Freiheit und Würde, Toleranz und Akzeptanz und Frieden.
Es geht um die Zukunft unserer Kinder!
Zum Buch: Wir verlieren unsere Kinder – Silke Müller
Die digitale Welt ist längst Teil unserer Kultur geworden.
Für Kinder und Jugendliche bedeutet sie Identität, soziale Zugehörigkeit und Beziehungspflege.
Soziale Plattformen und Netzwerke prägen Kinder und Jugendliche in einer ungeahnten Weise und der rasanten Entwicklung der digitalen Welt ist kaum hinterher zu kommen.
Doch gleichzeitig scheinen eine zunehmende Verrohung und Werteverluste damit einherzugehen.
Ist die Menschenwürde wirklich noch unantastbar?
Silke Müller zeigt, welch belastenden Inhalten Kinder und Jugendliche heute in digitalen Netzwerken ausgesetzt sind.
Gleichzeitig hat sie hier ein Plädoyer verfasst, uns aktiv für die Zukunft unserer Kinder und einer Gesellschaft einzusetzen, in der Werte von Frieden, Toleranz, Respekt und Mitmenschlichkeit Grundwerte sind.
Es ist ein Appell an alle Erziehungsberechtigten und Fachkräfte und Schulen, sich mit den Welten, in denen sich die Kinder und Jugendlichen bewegen, auseinanderzusetzen.
Denn es ist unsere Aufgabe, sie darin zu unterstützen, ein Bewusstsein aufzubauen, eine „digitale Ethik als Gewissenskompass“, um sich reflektiert und mündig in der digitalen Welt zu bewegen und verantwortungsvoll zu entscheiden und zu handeln.
Sie brauchen Kompetenzen zum Schutz der Privat- und Intimsphäre, zu kritischem Denken und Hinterfragen und zur informationellen Selbstbestimmung.
Besonders im Schulalltag ist es von besonderer Bedeutung, nicht nur Wissen, sondern auch Werte und Kompetenzen zu vermitteln.
Die Autorin, die Lehrerin einer Oberschule und erste niedersächsische Digitalbotschafterin ist, geht hier mit dem Aufbau einer Social-Media-Sprechstunde an ihrer Schule voran.
Aus diesem Schulalltag stammen auch die zahlreichen Fallbeispiele im Buch, die nicht immer leicht zu lesen sind, die aber deutlich machen, wie sehr soziale Netzwerke den Alltag von Jugendlichen (auf belastende Weise) bestimmen und welche Folgen dies hat.
Am Ende des Buchs finden sich einige Anregungen und Ideen für den Alltag sowie ein
Interview mit dem Cyberkriminologen Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger.
Für das Buch spreche ich eindeutig eine Triggerwarnung aus (aufgrund der beschriebenen Fallbeispiele).
Übrigens: Wusstest du, dass Österreich mit einem Schulfach Digitale Grundbildung gestartet ist?
Weitere Informationen zum Thema
Podcastinterviews:
- Interview mit der Autorin Silke Müller im Podcast einbiszwei (Folge vom 30. Aug. 2023)
https://open.spotify.com/episode/ 6J7ojgypCPBzRZmbczfJfT?si= Ufa2w7fBQ3Kj3P42fQuQAw
- Interview mit dem Cyberkriminologen Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger im Podcast einbiszwei (Folge vom 23. März 2023):
https://open.spotify.com/episode/ 5voXKlbEbMDKeF4Wf4J3xq?si= 8af11db11a444d11
Netflix-Doku: Das Dilemma mit den sozialen Medien
Schau Hin! www.schau-hin.info (Als Erwachsene Kinder und Jugendliche im Medienkonsum begleiten, Orientierung in der digitalen Welt geben)
Klicksafe www.klicksafe.de (Medienkonsum, Cybergrooming, Cybermobbing, Challenges, Desinformation im Netz)