„Das Wissen über Trauma hat die Kraft die Welt zu verändern.“
(Verena König)
Trauma – dahinter verbirgt sich ein Begriff, der zwar vielen Menschen geläufig ist, doch über dessen Bedeutung gleichzeitig so wenig bekannt ist.
Doch es ist so wichtig, dass wir dieses Wissen haben – nicht nur für eine angemessene Begleitung in der Therapie, sondern auch um Trauma erst überhaupt zu erkennen, damit umzugehen, Retraumatisierung zu vermeiden und letztendlich auch, um Strukturen zu verändern, zur Prävention, damit Traumaerfahrungen bzw. Traumafolgen gar nicht erst entstehen!
Inhalt
- Was ist ein Trauma?
- Zu viel, zu schnell, zu plötzlich. Trauma übersteigt unsere Bewältigungsmöglichkeiten.
- Trauma zerreißt die Bindungsebene. Trauma zerreißt Sicherheit.
- Traumaerfahrungen leiten psychophysiologische und neurophysiologische Prozesse ein.
- It‘s not about the past, it‘s about the presence …
- Traumareaktionen sind normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse.
- Arten von Trauma
Was ist ein Trauma?
Der Begriff „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Wunde“.
Trauma wird gemeinhin assoziiert mit Kriegserlebnissen, (Natur-)katastrophen oder brutalen Überfällen, wie z.B. Amokläufe. Dabei handelt es sich um das sog. Schocktrauma (s.u. Arten von Trauma). Jedoch sind es keineswegs nur die scheinbar „großen“ Ereignisse, die traumatisieren können.
Traumatisierend können alle Formen von sexualisierter, physischer, emotionaler oder verbaler Gewalt sein, ebenso Unfälle, Mobbing, medizinische Eingriffe oder andere überwältigende Erfahrungen. Dazu zählen insbesondere auch überwältigende Beziehungs- oder Verlassenheitserfahrungen zu jedem Zeitpunkt unserer kindlichen Entwicklung.
Zu viel, zu schnell, zu plötzlich.
Trauma übersteigt unsere Bewältigungsmöglichkeiten.
Entscheidend ist hierbei aber nicht die Situation, sondern die Bewältigungsmöglichkeiten, die einem Organismus zum jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Dazu zählen z.B. vorhandene Ressourcen, Vorgeschichte, Selbstregulationsfähigkeiten, Möglichkeiten der Selbstwirksamkeit und das Vorhandensein von sicheren Bindungen/ Co-Regulation.
Das bedeutet das Trauma höchst individuell ist, z.B. kann ein Kind andere Dinge überwältigend erleben als ein Erwachsener, genauso können Gleichaltrige eine Situation unterschiedlich erleben. Und auch der Zeitpunkt, wann erste Folgesymptome auftreten kann sehr unterschiedlich sein (von gleich bis viele Jahre danach).
Ein Trauma ist eine Erfahrung, die uns so tief im Inneren erschüttert, dass sie unsere Bewältigungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten übersteigt. Ein Trauma ist eine Erfahrung, bei der mögliche Bewältigungs- oder Lösungsversuche, um eine bedrohliche Situation zum Abschluss zu führen – d.h. Beziehungsversuch, Kampf- oder Fluchtreaktionen – versagen, verhindert oder vereitelt werden.
Trauma zerreißt die Bindungsebene.
Trauma zerreißt Sicherheit.
Traumaerfahrungen führen zu einem Verlust des Sicherheitsempfindens als auch zu einem Verlust von Verbindung – zu sich selbst, zum eigenen Körper, zu anderen. Sie gehen einher mit einem Erleben von Ohnmacht, Hilflosigkeit und fehlender Selbstwirksamkeit. Traumerfahrungen wirken sich auf unser gesamtes Sein, unser Beziehungserleben und darauf aus, wie wir uns selbst und die Welt wahrnehmen.
Traumaerfahrungen leiten psychophysiologische und neurophysiologische Prozesse ein.
Trauma liegt nicht im Ereignis, sondern in der Reaktion unseres Nervensystems. Trauma ist höchst individuell, d.h. dass Menschen Situationen sehr unterschiedlich erleben können. Dies ist abhängig von unseren individuellen Ressourcen, Selbstregulationsfähigkeiten, Bindungsnetzwerk bzw. dem Vorhandensein von sicheren Bindungen (Co-Regulation) und Vorgeschichte.
Der Körper reagiert autonom auf eine Bedrohung, indem er Energie für Kampf oder Flucht mobilisiert. Werden diese körpereigenen Lösungsversuche dann unterbunden, unterbrochen oder sind nicht möglich, fällt der Körper in einen sog. Erstarrungsmodus (Freeze) bzw. Kollaps (Faint/ Collapse), denn die Haltekapazität dieser Energie (in Organen, Muskeln, Nervensystem und Gehirn) wird sozusagen gesprengt ( => Überlebensmodus). Diese beiden Reaktionen gehen mit jeweils unterschiedlichen Zuständen des autonomen Nervensystems einher, welche sich dann auch auf die Folgesymptomatik auswirken.
Kurz zusammengefasst kann hier schon einmal erwähnt werden, dass die mobilisierte Energie bzw. autonome Reaktion im muskulären Muster gebunden bleibt und zu irgendeinem Zeitpunkt im Leben wieder aktiviert werden kann. Das Nervensystem gerät in eine langfristige Dysbalance, Erinnerungen werden fragmentiert (in „Einzelsplittern“) statt als Einheit abgespeichert und gehen nicht ins Langzeitgedächtnis als abgeschlossene Erfahrungen über.
Traumaerfahrungen beeinflussen die Funktionsweise unseres Nervensystems und führen zu Blockaden bei der Integrierung der traumatischen Erfahrungen ins Langzeitgedächtnis. Dies hat Folgen für unser Körper(er)leben und unser psychosoziales Erleben.
It‘s not about the past, it‘s about the presence …
Traumaerfahrungen werden im Gedächtnis als fragmentierte Erinnerungen („Einzelsplitter“) statt als Einheit abgespeichert und gehen nicht ins Langzeitgedächtnis als abgeschlossene Erfahrung über.
Trauma bedeutet ein perpetuierendes Wieder-Erleben der Vergangenheit im Heute. Die Betonung liegt dabei auf dem Erleben, denn es handelt sich nicht um ein bloßes Erinnern eines Ereignisses, sondern um ein Wieder-Erleben einzelner Fragmente einer Erfahrung in der Gegenwart, die aus dem Gedächtnis als „jetzt stattfindend“ abgerufen werden und als solche erlebt bzw. im Körper spürbar werden.
Diese Fragmente können sein: (Körper-)Empfindungen, Sinneseindrücke (z.B. intrusive Bilder/ Geräusche), Verhaltens- oder Bewegungsmuster, Emotionen, Denkmuster und Überzeugungen.
Da es sich um Fragmente der traumatischen Erfahrung handelt, ist eine Verbindung zwischen Symptomen und traumatischem Ereignis zunächst nicht immer offensichtlich. Der Abruf von fragmentierten Erinnerungen jedoch ist häufig gekoppelt an Reize im Hier und Jetzt (Trigger), die implizite (unbewusste) Erinnerungen aktivieren, die noch nicht verarbeitet wurden.
Häufig werden traumatische Ereignisse nicht als solche erkannt, manchmal auch nicht mehr bewusst erinnert (als Schutzmechanismus oder weil sie in einer Zeit ohne bewusste Erinnerung stattfanden.) Im Körper werden sie jedoch registriert und mit entsprechenden Reaktionsmustern im Gedächtnis gespeichert, so dass sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut aktiviert werden können. Daher werden viele spätere Symptome nicht als Traumafolge erkannt.
Traumareaktionen sind normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse.
Traumasymptome entstehen nicht einfach willkürlich, sondern als eine logische Folge unserer Körperreaktionen auf traumatisches Erleben. Traumaerfahrungen haben Auswirkungen auf den gesamten Organismus, den Körper, das Nervensystem, das Immunsystem, neurophysiologische Verarbeitungsprozesse im Gehirn und damit auch auf unser psychosoziales Erleben. Weil die Symptome so vielfältig und unspezifisch sein können, kann es sein, dass sie zunächst eher weniger mit einem Trauma in Verbindung gebracht werden. Am häufigsten zeigen sich erste Traumafolgen in Kontakt-, Bindungs- und Beziehungsschwierigkeiten sowie in Problemen bei der Emotionsregulation, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Später kann es mit weiteren belastenden Ereignissen zu Angst-, Panik-, Zwangsstörungen, Depressionen, Borderline, Essstörungen und dissoziativen Phänomenen usw. kommen.
Nicht selten sind Symptome die Folgen eines unerkannten Entwicklungs- oder Bindungstraumas.
Arten von Trauma
- Schocktrauma (Monotrauma): ein singuläres Ereignis
z.B. Überfall, Unfall, Tod eines Angehörigen, Naturkatastrophe, Geburtserlebnisse, usw.
Schocktrauma hat oftmals andere Symptome als ein Komplextrauma und braucht andere Behandlungsformen.
- Komplexes Trauma (sequentielles Trauma): über eine längere Zeitspanne anhaltendes bzw. fortführendes Erleben von traumatischen Erfahrungen
(häufige Form: Bindungs-/Entwicklungstrauma)
z.B. sexualisierte/physische/emotionale Gewalterfahrungen inkl. (emotionaler) Vernachlässigung/ emotionaler Leere in der Kindheit, Parentifizierung, Gewalterfahrungen in Partnerschaft/ toxische Beziehungen, Mobbing, schwere Erkrankungen, Flucht, Folter, usw.
- Strukturelles Trauma: Trauma in Folge von politischen, gesellschaftlichen, institutionellen Strukturen:
z.B. Ausbeutung, Prostitution, häusliche Gewalt, Gefangenschaft,
inkl. Religious Trauma: körperlicher, emotionaler oder geistiger Missbrauch in Sekten, Freikirchen und anderen Glaubensgemeinschaften
- Kollektives Trauma: eine ganze Gesellschaft oder Bevölkerungsgruppen betreffend,
z.B. bei Krieg, Rassismus, Diskriminierung, Flucht
- Transgenerationales Trauma: unverarbeitete Traumata werden unbewusst an die nächste Generation weitergegeben,
z.B. Kriegserfahrungen, Bindungstraumata, usw.
- Sekundäre Traumatisierung: Miterleben traumatischer Erfahrungen anderer,
z.B. als Notarzt/ Rettungsdienst, Kriminalbeamte, aber auch als Angehörige und Freunde
Die Übergänge dabei sind fließend und häufig summieren sich diverse Arten von Trauma auch.