C. Bertelsmann Verlag | Belletristik | 2017 | 592 Seiten
Jodi Picoult – was für eine Autorin, eine meiner liebsten Autorinnen! Jedes einzelne Buch von ihr ist auf seine Weise toll! Wobei „19 Minuten“ und „Die Spuren meiner Mutter“ nach wie vor zu meinen Favoriten zählen.
Ich liebe ihren Schreibstil, der sehr emotional ist. Und vor allem, dass sie in ihren Romanen stets Themen verarbeitet, die differenzierte Betrachtungsweisen fordern, die oftmals auch gesellschaftskritisch oder gesellschaftliche Tabus sind, die anecken. Bei ihr gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern immer auch eine Grauzone, den Blick dahinter, der noch genauer betrachten will, was zum Nachdenken anregt. Immer kommen verschiedene Personen zu Wort, beleuchtet sie ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln, was das ganze unglaublich facettenreich macht!
Und ja, ihr jüngster Roman kam endlich auch mal wieder im „alten Gewand“, im Stil der früheren Bücher daher, nämlich mit einem Gerichtsverfahren um das Kernthema, welches ich bei ihr so gerne mag!
Klappentext:
Als ein Neugeborenes nach einem Routineeingriff im Krankenhaus stirbt, scheint schnell klar zu sein, wer daran schuld ist. Die dunkelhäutige Säuglingsschwester, der untersagt war, das Baby anzufassen. Es folgt ein nervenaufreibendes Verfahren, das vor allem eines offenbart: den alltäglichen Rassismus, der in unserer modernen westlichen Welt noch lange nicht überwunden ist…
In „Kleine große Schritte“ betrachtet sie ein sehr wichtiges und nach wie vor aktuelles Thema: Rassismus, Privilegien und Vorurteile. Das Buch wird sogar als zeitgemäße Nachfolge von Harper Lees Klassiker „Wer die Nachtigall stört“ aus den 60er Jahren angesehen. (Ich liebe dieses Buch! <3) Und der Vergleich ist durchaus angemessen – die Erzählung erinnert stellenweise daran, wenngleich das Geschehen auf die aktuelle Zeit ausgelegt ist. Aber auch der Entstehungsprozess: wieder schreibt eine Weiße darüber, wie eine farbige Person aufgrund von Vorurteilen und Ressentiments vor Gericht verklagt wird.
Ist es aber anmaßend, sich als Weiße herauszunehmen, darüber zu schreiben, zu werten, in welchem Kontext unserer Gesellschaft sich Farbige fühlen und bewegen können? Ist es voreilig zu kritisieren, ob ihr das Recht zusteht, von Erfahrungen zu erzählen, die sie nicht selbst durchlebt hat?
Ich finde, Jodi Picoult hat das Thema sehr gut umgesetzt. Und vor allem sehr differenziert. Besonders ihr Nachwort unterstreicht dies auch nochmal. Denn der Schreibprozess trieb sie dazu an, viele Jahre zu recherchieren, vor allem aber sogleich ihre eigenen tiefsten Gefühle und Gedanken zu diesem Thema dabei zu reflektieren und zu überdenken und ganz allgemein unser gesellschaftlich orientiertes Verhalten und Handeln zu hinterfragen. Denn oftmals werden die eigenen Privilegien, die sich ganz unauffällig durch den Alltag ziehen, übersehen. Unbewusste Überlegenheitsgefühle verstärkt durch gesellschaftliche Konformität, bei der manchmal zu schnell, auch ohne böse Absicht, vergessen wird. Weil unsere Wahrnehmung von Selbstverständlichkeitsgefühlen eingenommen wird, aber dadurch eingeschränkt ist.
Das beginnt beispielsweise bei kleinen Alltagsdingen wie der (Shampoo-)Werbung, die stets auf Weiße ausgelegt ist und hört nicht auf bei Spielzeugpuppen oder Disneyfiguren, die in der Regel (privilegiert) weiß sind. Wenn wir auf dieses „Ungleichheitsdenken“ aber erst bei politisch und juristisch motivierten Entscheidungen aufmerksam werden, ist es eigentlich schon viel zu weit fortgeschritten in unserem bisherigen Denken.
„Die Staatsanwältin (…) möchte Sie glauben machen, bei diesem Fall gehe es um Schwarz und Weiß. Aber nicht so, wie Sie meinen.“ S.127
Rassismus bezieht sich nicht nur auf Diskriminierung oder Diffamierung anderer aufgrund einer Hautfarbe oder auf Vorurteile einer bestimmten Ethnie gegenüber. Es geht auch um institutionelle Macht und Begünstigung bestimmter anderer Personengruppen. Es geht um Ignoranz. Wenn wir anfangen, dass zu verstehen, werden wir die ersten kleinen Schritte in Richtung echter sozialer Gerechtigkeit gehen können.
Jodi Picoult hat hier ein weiteres Highlight ihrer Autorenkarriere – im Stil der früheren Werke um ein Gerichtsverfahren aufbauend – abgeliefert. Die Vielschichtigkeit der Thematik wird sehr gelungen unterstrichen durch die Perspektivenwechsel in der Erzählweise, die Blickwinkel einzelner Beteiligter. Zwar gab es einige wenige Stellen, die vielleicht ein bisschen zu sentimental waren, allerdings ist die differenzierte Ausarbeitung des Themas Rassismus grandios gelungen!
Mögt ihr Jodi Picoults Bücher auch so sehr? Welches sind Eure Favoriten?
Ich kenne deren Bücher noch gar nicht aber ich mag solche „extravaganten“ Bücher sehr gern. 🙂 Ich mag es, wenn Dinge nicht nur oberflächlich betrachtet werden. Danke für den Tipp. 🙂
Liebst Elisabeth-Amalie von Im Blick zurück entstehen die Dinge
Huhu, ja, da gehe ich voll mit:) Ich mag auch Bücher die in die Tiefe gehen, und vor allem bei Jodi, dass sie oftmals mehrere Seiten betrachtet und ganz viele Aspekte mit reinbringt, um ein Thema genau zu beleuchten:-) Dazu liest es sich angenehm und flüssig und trotzdem immer spannend bei ihr! 🙂 Liebe Grüße
Liebe Kathrin,
von dem Buch habe ich schon Gutes gehört und ich freue mich sehr, dass es Dich auch begeistern konnte. Ich möchte das Buch auf jeden Fall auch noch lesen. Im Moment mache ich nur einen Bogen um schwere Themen.
Da habe ich gerade keine Ressourcen für.
Sei liebst gegrüßt
Petrissa
Hey Petrissa, das kann ich verstehen, wenn man manchmal nur „leichtere Kost“ lesen mag, vielleicht ist ein anderes Mal die Zeit dafür:-) Liebe Grüße