Klett-Cotta | Sachbuch | 2017 | 176 Seiten
Nachdem ich in den ersten beiden Teilen (Teil 1, Teil 2) zu meinem Exkurs ins Thema „Bindung im Kindesalter“ auf die gesunde psychosozial-emotionale Entwicklung eingegangen bin, möchte ich heute etwas dazu schreiben, welche Störungen es geben kann.
Ca. 65% aller Kinder haben eine sichere Bindung. 35% weisen eine unsichere Bindung vor.
Dabei gibt es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Bindungserfahrungen der Eltern, ihrem Verhalten gegenüber dem Kind und deren späteren Denk-, Handlungs- und Bindungsmustern.
Kinder mit sicherer Bindung hatten Personen, die mit hoher Feinfühligkeit auf Signale eingingen, verlässlich und emotional verfügbar waren. Bei Stress findet eine schnelle Emotionsregulation statt, weshalb sie auch später gegen psychische Belastungssituationen widerstandsfähiger sind, da sie hierzu entsprechende Bewältigungsfähigkeiten entwickelt haben. Sie sind auch später als Erwachsene kooperativ, kompromissbereit, beziehungsfähig, empathisch und fähig für prosoziale Problemlösungen.
Bindungsstörungen entstehen wenn bereits in den ersten Lebensjahren verschieden ausgeprägte Formen von Vernachlässigung oder Gewalt auf emotionaler, körperlicher oder sexueller Ebene erfahren oder zumindest zwischen Bindungspersonen miterlebt wird.
Man unterscheidet drei unsichere Bindungstypen:
- Unsicher-vermeidend: Kinder reagieren auf Trennung zu Bindungspersonen eher gleichgültig. Bei Stress stoßen sie auf wenig feinfühlige, eher abweisende, kühle Signale der Bindungsperson, sie werden alleine gelassen, Körperkontakt bleibt eher sparsam: die Bindungsbedürfnisse werden nach wiederholten Frustrationen unterdrückt. Nach außen wirken diese Kinder autonom und angepasst, innerlich stehen sie hingegen unter hohem Stress, der auch in medizinischen Untersuchungen nachweisbar ist (Herzfrequenz, Stresshormon Kortisol etc).
Als Erwachsene zeigen sie bindungsvermeidende Strategien. - Unsicher-ambivalent: Kinder reagieren auf Trennung zu Bindungspersonen mit hohem Stress (Weinen, bei Wiederkehr der Bindungsperson zeigen sie allerdings widersprüchliche Signale (Mischung aus Aggression, körpersprachliche Anzeichen von sowohl Distanzierungs- als auch Nähebedürfnissen). Dies gründet auf häufige unvorhersehbaren Reaktionen mit Doppelbotschaften der Bindungsperson auf kindliche Emotionen. Es gibt häufige Wechsel zwischen Schutzverhalten und Zurückweisung. Diese Kinder entwickeln auch später oft starke generelle Ängste.
- Desorganisiert: Kinder zeigen zeitweise große Wutanfälle, Unsicherheiten und Verhaltensauffälligkeiten, auch in Bezug auf die Wahrnehmung eigener Gefühle. Die Bindungspersonen sind wenig feinfühlig und zeigen stark widersprüchliche Botschaften in Mimik, Sprache und Verhalten. Durch extreme Wechsel zwischen fürsorglichem und bedrohlichem Auftreten wird eine Atmosphäre der Angst, Ohnmacht und völliger Hilflosigkeit vermittelt. Dieses Bindungsmuster steht häufig mit späteren psychischen Erkrankungen und Traumata in Zusammenhang.
Bindungsunsichere Kinder bringen bei Belastungen wenig Bewältigungsmöglichkeiten mit, reagieren mit Ablehnung und Rückzug auf Hilfsangebote, ihre Teamfähigkeit ist wenig ausgeprägt, das Einfühlungsvermögen (auch für sich selbst) wenig differenziert. Kinder stehen unter enormen Dauerstress, wenn die Bindungsperson gleichzeitig eine Quelle von Angst und Ansprechpartner in Not ist.
SAFE – Karl Heinz Brisch:
Dieses Buch bietet eine gute Zusammenfassung elementaren Basiswissens. Neben einer ausführlichen Beschreibung der Grundlagen für sichere Bindung sowie möglicher Störungen stellt das Buch Ansätze vor, wie Eltern feinfühlig auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingehen können.
Das Anliegen von „Safe“ – Sichere Ausbildung für Eltern – ist es, dass Eltern lernen, die Signale ihres Kindes richtig zu deuten und angemessene Reaktionen und Antworten darauf zu finden, dass sie lebenswichtige Entwicklungsbedürfnisse kennen und diese feinfühlig verwirklichen können.
Da die Möglichkeit von Wiederholungen eigener Bindungserfahrungen besteht, zeigt er Hilfen auf, den Teufelskreis einer transgenerativen Weitergabe von Störungen zu unterbrechen, um Kindern durch eine sichere Bindungsentwicklung die grundlegende Erfahrung von Urvertrauen, Sicherheit und Geliebtwerden mit auf den Weg zu geben.
Neben der Schwangerschaft selbst werden hier mögliche Belastungssituationen für die Zeit nach der Geburt, die ersten Lebensjahre und für die Partnerschaft angesprochen und Tipps und Anregungen gegeben. Karl Heinz Brisch ist ein deutscher Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut und ist meiner Meinung nach einer der Top-Autoren, wenn es um Bindungspsychologie im Kindesalter geht!
Vor einiger Zeit gab es ein interessantes Interview auf 3sat mit Karl Heinz Brisch und Sabine Andresen zum Thema psychische Gewalt und deren Auswirkungen auf Bindung und das Gehirn. Ihr könnt es nach wie vor in der Mediathek von 3sat ansehen! http://www.3sat.de/page/?source=/scobel/196436/index.html
Und ich möchte auch heute nochmals auf das Gottman Institut (Link) hinweisen, welches gute Beiträge zu den Themen Emotionsregulation und Konfliktmanagement in Beziehungen (bei Kindern und Erwachsenen) gibt:
https://www.facebook.com/GottmanInstitute