Beltz | Sachbuch | 2017 | 248 Seiten
Pränatale und postnatale Bindungsentwicklung – Teil 1
Das Thema Bindung und Bindungsentwicklung ist eines, welchem ich mich schon seit Längerem mit intensivem Interesse widme und welches mich fasziniert, denn wenn man hier achtsam beobachtet und analysiert, kann man vieles verstehen, was sonst scheinbar ohne Zusammenhang oder willkürlich scheint.
Unsere Bindungserfahrungen als Kleinkind prägen uns für unseren weiteren Lebensweg: wie wir Emotionen verarbeiten und regulieren, wie wir Konflikte managen, ob wir immer wieder den gleichen Konflikten ausgesetzt sind, wie wir mit Frustrationen umgehen, welche Coping-Strategien wir fürs Leben entwickeln, ob, wie und welche Art von Beziehungen wir führen, welche Partner wir uns suchen. Vor allem frühkindliche (Alter 0–6) und pränatale (also im Mutterleib) Erfahrungen bilden die Basis für unsere weitere Entwicklung – der physischen, der geistigen und der emotionalen Entwicklung.
Und vor allem darf nicht vergessen werden, dass jede einzelne Komponente mit der Hirnentwicklung zusammenhängt. In diesen Jahren bilden sich noch Synapsen aus und unser Gehirn wird entsprechend unseren Erfahrungen vernetzt.
Dass Alkohol und Drogen Folgen haben können für die körperliche und geistige Entwicklung, davon haben wohl alle schon einmal gehört. Aber wie sieht es aus mit seelischen Erschütterungen?
Unsere Bindungserfahrungen haben einen erheblichen Einfluss auf unser künftiges Leben, der nicht zu unterschätzen ist, weshalb sich daher manchmal auch ein Blick zurück lohnt.
Ich möchte die Woche nutzen, um anhand dreier Bücher zum Thema frühkindliche Entwicklung einmal näher auf dieses Thema einzugehen.
Das grundlegendste Bedürfnis eines Kindes ist das nach einer sicheren Bindung.
Entscheidend sind hierbei die Bindungsentwicklungsphasen in der Schwangerschaft und den ersten Lebensjahren.
Ein Säugling kommt auf die Welt mit einem angeborenen Wunsch nach Schutz, Pflege und Unterstützung. Dafür braucht es eine emotionale Bindung an eine spezifische Hauptbindungsperson (meist, aber nicht zwangsläufig die Eltern), die nicht beliebig ersetzbar ist.
Überlebenswichtige Bedingungen in Zusammenhang mit Bindung von Säuglingen und Kleinkindern sind:
- Physiologische Versorgung, wie Nahrung, Trinken, Schlaf usw
- Erkundungsdrang: die sichere Bindungsperson ist hierfür Voraussetzung für ein Lernen in allen frühen Altersstufen, ohne die es nur sehr eingeschränkt möglich ist, da die Neugier bei Unsicherheit gehemmt ist.
- Sinneserfahrungen: das Begreifen und Berühren der Welt, Erfahrung eines dreidimensionalen Raums, aber auch über die anderen Sinne, später auch die Wahrnehmung nach innen (Gefühle, Körper)
- Selbstwirksamkeit: für die Entwicklung eines Selbstwertgefühls und der Autonomie
- Vermeidung unangenehmer Reize: Bindungsperson als Hilfe zur Emotionsregulation, optimalerweise mit Körperkontakt
Diese Punkte sind die Voraussetzung für die gesunde Entwicklung psychosozial-emotionaler Fähigkeiten.
Im nächsten Teil werde ich euch dann genauer aufzeigen, was eine gesunde Bindung ausmacht. Und im dritten Teil gehe ich dann auf Bindungsstörungen sowie die verschiedenen Bindungstypen ein.
Das Geheimnis der ersten neun Monate – Gerald Hüther, Ingeborg Weser:
Dieses Buch bietet eine schöne Einführung in die pränatale Entwicklung eines Kindes. Es geht dabei auf die Entstehung des Gehirns, des Nervensystems und der Sinne ein (mit einem kleinen Ausflug in die Entwicklungsbiologie). Die Autoren beschreiben, wie der Organismus entsprechend des jeweiligen Entwicklungszeitpunkts bereits von Anfang an funktioniert, lernt und mit seiner Umwelt kommuniziert und Signale empfängt und wie bereits Prägungen in allerfrühesten Stadien entstehen.
Im zweiten Teil des Buchs wird herausgearbeitet, wie Eltern hier entsprechend feinfühlig bereits während der Schwangerschaft Einfluss auf die psychosozial-emotionale Entwicklung nehmen können. Abschließend gibt es noch ein paar Denkanstöße in Bezug auf das heutige Entwicklungsumfeld eines Kindes und unsere Gesellschaft.
Dieses Buch ist kein Schwangerschaftsratgeber, aber auch kein trockenes Fachbuch. Ich fand es sehr spannend geschrieben. Für alle, die sich mehr mit der vorgeburtlichen Entwicklung auseinandersetzen wollen!
Liebe Kathrin,
ich finde das auch sehr spannend. Ich habe hier ein tolles Buch über das Hirn (ist schon älter), wo auch viele solcher Sachen beschrieben werden.
Wie sich das Gehirn während der Schwangerschaft bildet, davon habe ich wenig Ahnung. In dem Buch standen nur die Gefahren von Alkohol in der Schwangerschaft drinnen. Da dachte ich nur- Wohuu! Warum wird das nicht viel mehr transportiert. Also klar, man weiß, dass es nicht gut ist, aber was da genau passiert, das weiß man ja doch eher nicht.
Liebe Grüße
Petrissa
Huhu Petrissa,
ja, ich lese auch sehr gerne über die Funktionsweise unseres Gehirns und unserer Psyche – wie du ja weißt 🙂
Das Buch hab ich lustigerweise bereits vor der Schwangerschaft gelesen, weil das Thema mich generell interessiert und ich es total spannend finde, wie alles mit allem zusammenhängt! Ganz liebe Grüße, Kathrin