Knaur Verlag | Sachbuch | 2014 | 240 Seiten
„Man kann nur in Berührung sein, wenn man fühlt“
Anais Nin
Wie bereits bei „Homo hapticus“ erwähnt, könnten wir ohne die anderen Sinne irgendwie überleben, ohne den Tastsinn jedoch wären wir komplett hilflos: er lässt sich auch nicht vorübergehend abstellen oder ausschalten.
Berührt werden können wir auf verschiedene Weise, auf körperlicher oder auch auf seelischer Ebene, doch immer wirkt es sich auf die jeweils andere Ebene aus.
Noch immer wird dem Tastsinn wenig Bedeutung zugemessen. Dabei können angenehme Berührungen unser Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl stärken, unser Immunsystem verbessern, angenehme Berührungen machen uns offener für unsere Mitmenschen und deren Bedürfnisse – und wir können uns selbst damit Gutes tun!
Wir können uns auf diesen Sinn so sehr verlassen, dass wir mit geschlossenen Augen sagen können, in welche Richtung z. B. ein Arm bewegt wird. Wir wissen noch, bevor wir es sehen oder hören, wenn sich eine winzig kleine Fliege auf unseren Arm verirrt. Und selbst im Koma, wenn alle anderen Sinne nicht mehr ansprechbar sind, können durch Berührung noch die Zentren des Tastsinns im Gehirn aktiviert werden.
Ob und in welcher Intensität jedoch Berührungen als angenehm oder unangenehm empfunden werden, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Berührung ist ein elementares Grundbedürfnis in jedem Lebensalter.
Säuglinge sind ohne diese nicht überlebensfähig, selbst wenn sie ausreichend mit Nahrung versorgt werden, denn ohne Berührung fehlen ihnen zuverlässige Bindungen, die für die Entwicklung fundamental sind. Aber auch als Erwachsene verlieren wir ohne Berührung nachhaltig das Gespür für uns selbst und vereinsamen. Es droht die Gefahr eines inneren „Absterbens“. Berührungen kommen zwar von außen, wirken aber nach innen.
Nicht berührt zu werden, kann auch zu einem Gefühl des sozialen Ausschlusses führen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass soziale Ausgrenzung körperliche Folgen hat, wie z.B. den Anstieg diverser Entzündungswerte – die entsprechenden Botenstoffe sorgen sogar dann dafür, dass Schmerzreize noch stärker wahrgenommen werden. Soziale Nähe und Bindung hingegen lindern körperlichen Schmerz.
„Inzwischen erkennt auch die Wissenschaft, dass die Wahrnehmung von Nähe oder Distanz, Zugehörigkeitsgefühl oder Ausgrenzung auch einen physischen und sogar einen sinnlichen Aspekt hat“ (S.78) und direkte Zusammenhänge zwischen sozialem und physiologischem Empfinden bestehen.
Unser soziales Erleben kann also auch unser körperliches Befinden beeinflussen (z. B. Kälteempfinden bei Ausgrenzungsgefühl > Körpertemperatur sinkt nachweislich)
Umgekehrt können unsere haptischen Erfahrungen unser Wohlbefinden steigern (z. B. Wärme wirkt beruhigend auf die Stimmung und den Charakter)
Das liegt daran, dass für neurologische Verschaltungen des Empfindens bei physischer bzw. sozialer Wärme dieselben Nervenbahnen des Gehirns aktiv sind.
Haut-zu-Haut-Kontakt stimuliert unsere emotionalen und hormonellen Reaktionen. Dies gilt nicht nur für andere Menschen. So kann dies auch durch Tiere geschehen oder durch Selbstberührungen.
Vermehrte Selbstberührungen hingegen können ein Anzeichen für unser Stressniveau sein. Studien konnten zeigen, dass sich bei erhöhtem Stresslevel der Mutter, z. B. unter Alkohol- oder Drogeneinfluss, ein Fötus bereits vermehrt selbst im Gesicht berührt. (siehe „Homo hapticus“) Und zwar vorrangig mit der linken Hand, welches auf eine Verarbeitung in der „emotionalen (rechten) Hirnhälfte“ hinweist. Die Selbstberührung dient also zur Regulierung des neurophysiologischen Zustands (wie z.B. der Herzfrequenz), zur emotionalen und physiologischen Beruhigung.
Daher kommt es auch, dass wir auch bei Erwachsenen vermehrte Selbstberührungen unter Stress beobachten können.
Auch das Bindungshormon „Oxytocin“ wirkt beruhigend und stabilisierend und macht uns widerstandsfähiger gegen Belastungen. Auch hier verweist der Autor auf Studien, in denen gezeigt wurde, dass Kortisolwerte (Stresshormone) durch Berührungen am effektivsten gesenkt werden konnten – wo Worte selten eine ähnliche Auswirkung hatten.
„Man kann in Kinder nichts hineinprügeln, aber vieles herausstreicheln“
Astrid Lindgren
Dieses Buch ist zwar eine eher leichtere Lektüre, war aber eine nette Ergänzung zu bzw. Vertiefung des Mittelteils von „Homo hapticus“, untermauert mit zahlreichen Studienbeispielen. Zwar fehlte mir zunächst etwas ein roter Faden und eine klare Strukturierung, was aber Im Verlauf des Buches besser wurde.
Der Untertitel ist etwas irreführend und ungünstig gewählt, da es sich hier nicht um eine Abhandlung von Gender-Klischees handelt, vielmehr ist damit gemeint: dass wir alle unser Wohlbefinden mit entsprechenden taktilen und haptischen Berührungserfahrungen positiv beeinflussen können!