Isa Grüber
Was der Körper zu sagen hat
Stress- und Traumabewältigung mit Somatic Experiencing
(Mankau-Verlag, 2023, 272 Seiten, Erstausgabe 2013)
Wie können wir den Körper verstehen und wie kann Somatic Experiencing (SE) uns bei der Stress- und Traumabewältigung unterstützen?
Wie können wir die Signale des Körpers deuten, wie können wir verstehen, was der Körper zu sagen hat?
Viele Menschen erleben ihren Körper als Quelle von Unwohlsein: Sie leiden unter Panikattacken, Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, einer generellen Nervosität, Reizbarkeit, innerer Unruhe, Anspannung oder Burnout.
Zu entspannen fällt oft schwer. Stille wird als beunruhigend empfunden.
Grenzen werden erst wahrgenommen, wenn sie bereits überschritten wurden.
Ein differenziertes Nach-innen-spüren ist oft nicht möglich.
In meinen letzten Beiträgen, u.a. zu „Körper- und Lebensgefühl“, schrieb ich bereits über Zusammenhänge zwischen Körperreaktionen nach Hochstresserfahrungen und unserem heutigen Erleben. Hier kannst du noch einmal nachlesen.
Psychische und psychosomatische Beschwerden –
Wenn der Körper Signale sendet
„Trauma ist in erster Linie ein komplexes psychophysiologisches Geschehen, bei dem die Biologie eine entscheidende Rolle spielt. Betrachten wir es nur aus psychologischer Sicht, werden wir der Komplexität unserer Körperreaktionen nicht gerecht.“
(Seite 88)
Hochstresserfahrungen führen dazu, dass die Wahrnehmung von Körperempfindungen eingeschränkt oder abgeschaltet wird – zum Schutz vor überwältigenden Emotionen, körperlichem oder emotionalem Schmerz oder zur Funktionalität. Das geschieht unbewusst und autonom.
Beim Hineinspüren in den Körper können diese Emotionen allerdings wieder auftauchen. Daher sind die meisten Menschen mit ihrer Aufmerksamkeit eher im Außen, kompensieren (oder funktionieren) im Außen.
Der Körper wird oft nur noch bei Beschwerden bemerkt.
Traumatische oder überwältigende Erfahrungen hinterlassen Spuren im Körper.
Das hängt mit der Funktionsweise unseres Nervensystems und einer veränderten Verarbeitung im Gehirn zusammen.
Das Nervensystem bleibt solange in Alarmbereitschaft, bis der Prozess dieser Erfahrung zu einem Abschluss finden kann, bis Erfahrungen auch vom Körper verarbeitet werden.
Dafür ist das Empfinden von Sicherheit im Körper ganz entscheidend.
Solange die gemachten Hochstresserfahrungen im Körpergedächtnis aktiv sind, können sie immer wieder durch – auch scheinbar harmlose – Ereignisse in unserem Alltag abgerufen und erneut als bedrohlich oder innerer Dauerstress empfunden werden – häufig ohne dass sie bewusst mit den traumatischen Erfahrungen in Verbindung gebracht werden.
Durch den inneren Dauerstress können Symptome entstehen.
Isa Grüber – Was der Körper zu sagen hat
Dieses Buch beschäftigt sich damit, wie es gelingen kann, sich durch ein achtsames, behutsames Spüren wieder mit dem Körper anzufreunden.
„Was der Körper zu sagen hat“ eignet sich wunderbar zum Einstieg in das Thema „Trauma und Körper“.
Isa Grüber ist erfahrene Traumatherapeutin, arbeitet mit Somatic Experiencing (SE), einer körperorientierten Traumatherapiemethode nach Peter Levine. Diesen Ansatz stellt sie auch im Buch vor.
Die Therapeutin zeigt, dass eine niedrige Stresstoleranz eng mit einer traumabelasteten Vorgeschichte zusammenhängt und dass unser innerer Grundspannungslevel, der von Person zu Person unterschiedlich schnell ansteigen kann, mitentscheidet, wie leicht oder schnell wir in unseren Reaktionen getriggert werden können, so dass alte Reaktionsmuster aus traumatischen Erfahrungen durchbrechen können.
Mit etwas Übung können wir unser Grundspannungslevel lernen, zu „lesen“ und entsprechend darauf eingehen.
Ohne allzu tief in die Neurobiologie einzusteigen, beschreibt Isa Grüber gut verständlich erste Zusammenhänge von frühen Hochstresserfahrungen, Antworten des autonomen Nervensystems und späteren Körperreaktionen sowie Beschwerden und wie wir anhand unserer Körperreaktionen erkennen können, ob es sich um posttraumatischen Stress handelt, wann das Nervensystem hochfährt oder wann es sich wieder reguliert.
Auch Gedächtnisprozesse und Bindungsmuster werden knapp erläutert.
Somatic Experiencing – eine sanfte Methode
In zahlreichen Beispielen zeigt die Therapeutin, wie Beschwerden mit unseren Erfahrungen zusammenhängen und wie man sie mit Hilfe von Somatic Experiencing (SE) – mit gezieltem Spüren und Verbundenheit mit dem Körper – transformieren kann.
SE ist eine sanfte Methode, da sie mit dem Körper arbeitet und nicht erfordert, in Details der traumatischen Erfahrungen einzusteigen oder das Trauma erneut zu durchleben!
Zentral dabei ist das Spüren von Empfindungen im Körper ohne zu bewerten, dabei Ressourcen zu entdecken und sich diese zu Nutze zu machen.
Somit kann ein Bewusstsein entstehen für unwillkürliche, unbewusste Bewegungen, Impulse, Haltungen, Spannungen, unbewusste Schutzreaktionen oder auch Signale der unterschiedlichen Nervensystemzustände.
Auf diesem Weg kann die Spannung, die im Körper festgehalten wird, nach und nach, kleinstschrittig und behutsam und durch ein Pendeln zwischen einzelnen Empfindungen, zwischen Belastendem und Ressourcen gelöst werden, so dass Emotionen nicht mehr überwältigend erlebt, verdrängt oder impulsiv ausagiert werden müssen.
Dabei geht es weniger um ein aktives Entspannen oder Verändern, als vielmehr darum, dass das Nervensystem langfristig umlernen kann: lernen, dass die Bedrohung nicht mehr existiert, so dass es von selbst wieder in einen balancierteren Zustand gelangt.
Es geht darum, Emotionen nicht mehr auszuhalten, sondern die Kapazität zu erweitern, sie zu halten – wie eine Mutter ihr Kind hält oder wie ein Gefäß seinen Inhalt hält (= Containment).
Das Körperbewusstsein wird gestärkt, so dass es möglich wird, (Warn-)Signale des Körpers wieder rechtzeitig zu bemerken und die Fähigkeit erweitert, eigene Bedürfnisse und Grenzen differenzierter wahrzunehmen und dafür einzustehen.
Es wird deutlich, dass es einen hilfreichen Unterschied machen kann, wenn der Körper in einer Psychotherapie mit einbezogen wird.
„Das Ziel ist nicht, immer „gut drauf“ zu sein, sondern mit natürlichen Tiefs besser umgehen zu können.“
(Seite 9)
Fazit
Viele unserer psychischen oder psychosomatischen Beschwerden lassen sich auf gemachte Hochstresserfahrungen zurückführen.
Isa Grübers Buch eignet sich sehr gut zum Einstieg in das Thema „Trauma und Körper“.
Zahlreiche Beispiele verdeutlichen sehr schön, wie traumatische Erinnerungen in unser Heute spielen können, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Und es wird gezeigt, wie wir durch gezieltes Hinwenden zum Körper und zu unseren Körperempfindungen Einfluss auf Reaktionsmuster und Beschwerden nehmen können.
Dabei stellt die erfahrene Traumatherapeutin sehr anschaulich das Konzept Somatic Experiencing (nach Peter Levine) vor und wie es dabei helfen kann, Stresssymptome zu transformieren, die Verbindung zu sich selbst und dem eigenen Körper wieder herzustellen und die Lebensqualität damit nach und nach zu steigern.
Dieses Buch ergänzt sich wunderbar mit dem von Christine Seidel – Wenn die Seele nicht heilen will