Mit Trauma wachsen – Mein Weg (Teil 2)
Ich bin komplex traumatisiert.
.
Viele haben weggesehen, viele erst gar nicht hingesehen.
Warum?
.
Trauma ist ein Tabu.
Trauma macht Angst
Damit mag man sich nicht identifizieren.
Trauma betrifft die anderen.
Trauma ist anstrengend.
Lieber nicht damit beschäftigen, es könnte ja etwas eigenes hochkommen…
.
Und irgendwie auch: was ist denn dieses Trauma überhaupt?
Das Wissen über Trauma ist gar nicht da.
.
Es macht mich heute oftmals wütend, sprachlos und traurig zugleich, wie dieses Thema tabuisiert wird.
Dass ich so lange allein war damit.
Wie stattdessen Schuld- und Schamgefühle auf mich gelegt wurden, damit man sich selbst sicherer fühlen kann.
.
Dass auch ohne das Wissen um die Hintergründe von Trauma lange keine Person da war, die mal empathisch gefragt hat, was ist denn da noch so in dir los?
Welche Erfahrungen machst du, hast du mit Menschen gemacht?
Eine Person, die all die Verletzungen und den Schmerz würdigte.
.
Es dauerte viele, viele Jahre bis die erste Therapeutin in Resonanz ging, bis ich gefühlt wurde.
.
Ja, da schwingt was Schweres mit, etwas Beängstigendes.
Das ist wahr.
.
Doch das Wissen über Trauma und über unser Nervensystem ist der Missing Link.
Es birgt Chancen, nimmt auch das ganze Mysterium.
Denn wenn wir verstehen, wie unser Nervensystem funktioniert (egal ob traumatisiert oder nicht), können wir nicht nur besser auf andere eingehen und Traumafolgen eindämmen, sondern auch generell unser Miteinander in mehr Verbundenheit gestalten.
.
Wir brauchen eine traumainformierte Gesellschaft für ein empathisches Miteinander und Verbundenheit!
Traumaprozesse verstehen – kleine Schritte
„The smaller you go, the faster you grow“
Meine Reise in die Welt der Traumaprozesse begann an sich schon vor einigen Jahren, als ich mich mit Bindungspsychologie und der Fachliteratur dazu auseinandersetzte.
Doch ein Tiefenverständnis, eröffnete sich mir erst, als mir mit Dami Charf und Verena König, beide somatisch orientierte Traumatherapeutinnen, fast zeitgleich zwei meiner größten Lehrerinnen der letzten drei Jahre begegneten.
Mit dem Verständnis von Trauma auf Körperebene und der daraus resultierenden psychodynamischen Prozesse wurde „Trauma“ zwar viel archaischer, gewaltiger, aber auch viel greifbarer und es begann sich etwas in meiner Welt zu bewegen, zu öffnen.
Und es waren auch Dami und Verena, von denen ich das erste Mal etwas über die Kraft der Verbundenheit, die heilsame Kraft, die in einer tiefen, resonanten und präsenten Herzensverbindung steckt.
Sie eröffneten mir mit ihren Podcasts und youtube Kanälen eine Welt, in der ich mich endlich gesehen fühlte, verstanden fühlte.
In der ich mich endlich selbst verstehen konnte.
In der ich meinen Körper endlich verstehen konnte.
Traumafolgen verschwinden nicht einfach so.
Traumatische Erfahrungen hinterlassen Spuren, indem sie zu neurophysiologischen Veränderungen im Körper führen, unser Nervensystem und das Prozessieren von Erfahrungen im Gedächtnis nachhaltig beeinflussen.
Und sie wirken sich auf unser gesamtes Sein, unsere Beziehungserfahrungen und unser Denken über uns und die Welt aus.
Und das war eine riesige Entlastung.
An mir ist nichts falsch.
Meine Reaktionen sind normale (Körper-)Reaktionen auf unnormale Ereignisse.
Es sind Überlebensmechanismen.
Unser Körper ist ein Wunderwerk.
Auf dem Weg – In Verbindung zu mir wachsen
Das Verständnis des Nervensystems war für mich „mindblowing“.
So konnte ich beginnen, mein Leben neu zu denken.
Mich im Alltag ganz anders zu erfahren und zu begleiten.
Ein erstes Aufatmen, ein erstes Weiten.
So nahm ich alles mit, was ging:
Fachbücher, Online-Kurse, Online- Kongresse (weltweit), Podcasts für Therapeut:innen und Betroffene, die Fortbildung mit dem „Integrative Somatic Trauma Therapy Certificate Program“, und der Beginn einer eigenen Somatic Experiencing-Therapie (körperorientierte Traumatherapie) brachten mich auf einen neuen Weg.
Es gelingt mir immer öfter, mich mit mir zu verbinden.
Ich bin präsenter in mir, ich bin verbundener mit mir.
So viele Jahre spürte ich mich in meinem Körper kaum.
Ich war nur im Kopf unterwegs.
Selten im Hier und Jetzt.
Angst und Angst und Angst und Enge war alles was ich fühlte.
Ich bin wieder achtsam für die feinen Signale meines Körpers, ich habe angefangen, ihn wieder zu bewohnen.
Mein Gewahrsein für die feinen Nuancen neben der Angst wird größer.
Ich lerne feinste Veränderungen in meinem Nervensystem zu verstehen, zu lesen und darauf einzugehen.
Ich spüre meine Grenzen wieder und auch meine Bedürfnisse, ich fange an, für mich aufzustehen und für meine Würde zu gehen.
Ich mag gnädig mit mir selbst sein. Ich mag mitfühlend mit mir sein.
Ich stehe für mich auf!
Trauma, Gesellschaft und (m)ein Ausblick
Leicht ist das nicht immer.
Denn wenn Trauma laut und sichtbar wird, stößt das auch oft auf Abwehr im Außen.
Ja, es ist für mich immer wieder erschütternd zu spüren, dass Menschen beim Thema Trauma lieber wegschauen, ignorieren, tabuisieren, schweigen, leugnen, verharmlosen.
Ja, sogar bekämpfen.
Victim Blaming.
Gaslighting.
Das wirft (mich) manchmal ganz schön zurück.
Mit meiner Not war ich viele Male allein.
Zu wissen, dass es sehr vielen Betroffenen genau SO geht, macht es nicht leichter, hilft aber manchmal.
Es ist beschämend für unsere Gesellschaft.
Und so waren für mich Orte der Verbundenheit, wie Podcasts und Webinare von Traumatherapeutinnen, Online-Kongresse und Ausbildungen zum Austausch mit Menschen, die nicht zurückschrecken, die wichtigsten Ressourcen in den letzten zwei Jahren.
Ohne diese hätte ich wohl manches Mal den Verstand verloren, sie führten mich wieder zurück zu mir, wenn ich drohte, mich vollständig zu verlieren.
Meine eigene langjährige Odyssee auf der Suche nach Hilfe und die dazugehörigen Erfahrungen (und ich weiß, dass es vielen anderen auch so erging) machen mich oft traurig und wütend zugleich, wie wenig das Wissen über Trauma und insbesondere über das Nervensystem bekannt ist – selbst unter Fachleuten.
Wie wenig echte Hilfe es in unserem Gesundheitssystem gibt, so dass Trauma nach wie vor eine Randerscheinung ist, dass viele Betroffene keinen Zugang zu adäquaten Therapien erhalten, weil sie schlichtweg in unserem Kassensystem nicht vorgesehen sind.
Mein Wunsch ist es, dass wir eine traumainformierte Gesellschaft werden, eine nervensysteminformierte Gesellschaft, in der in Begegnungen wieder echte Intimität und Herzensverbindung möglich sein wird.
In der wir unser Wesen in der Tiefe verstehen und einander einen Raum öffnen und halten, einen „holding safe space“, in dem Emotionen und Körperreaktionen so bewegt werden können, dass eine heilsame Bewegung, eine heilsame Verbindung entstehen kann.
Und daher möchte ich auch dazu beitragen, mehr Wissen rund um dieses Thema zu verbreiten.
Trauma ist kein individuelles Thema, es betrifft uns alle!
Wenn wir als Gesellschaft und als Gemeinschaft eine echte Verbundenheit herstellen wollen, dann brauchen wir das Wissen über Trauma, über unser Nervensystem und über Bindung.