Verlagsgruppe Oetinger | Belletristik, Jugendbuch | 2011 | 448 Seiten
Antonia Michaelis‘ Bücher haben einen ganz besonderen, manchmal etwas gewöhnungsbedürftigen Schreibstil. Nüchterne Erzählweise trifft auf eine gewaltige Tiefe dahinter. Man muss etwas zwischen den Zeilen lesen, damit die Geschichte in ihrer ganzen Tragweite zur Entfaltung kommt.
Der Märchenerzähler ist vielleicht ihr am ehesten zugängliches Jugendbuch, allerdings auch alles andere als leichte Kost – aber sehr, sehr berührend.
Abel Tannatek ist ein Außenseiter. Reserviert und zurückgezogen, ausgeschlossen, einschüchternd und gerade dadurch aber wieder polarisierend. Unauffällig auffallend. Geheimnisvoll. Anna stammt aus einem wohlbehüteten Umfeld, aus einer heilen Welt, die vor vielem die Augen verschließt. Einer ganz anderen Welt als die Abels.
Beide verbindet lediglich die Schule, in der sie gemeinsam kurz vor dem Abitur stehen.
Doch an Oberflächlichkeiten und Gerüchten hat Anna kein Interesse. Wenn ihre Freunde wieder mal ihre Geschichten erzählen, um anerkannt zu werden, um dazuzugehören, rotieren die Fragen in ihrem Kopf. Und was ist mit deren Geschichten über andere? Welche Gerüchte kann man wirklich ernstnehmen? Anna sieht gerne etwas tiefer hinter die Dinge, ob da nicht noch mehr ist, als es auf den ersten Blick scheint.
So zieht Abel sie in seinen Bann: hinter der rauen Fassade muss doch mehr stecken. Muss doch eine zweite Seite, eine Geschichte stecken …
Aber wie wird man bemerkt von jemandem, der augenscheinlich in einem anderen Universum lebt? Wie findet man Zugang zu ihm?
Und wenn dieser Mensch dann anfängt (s)eine Geschichte zu erzählen, wie verändert es den eigenen Blick für diese Person? Wieviel davon will man hören, wieviel davon kann man tragen? Und was davon ist echt, was nicht?
„Ich habe nichts, nur die Worte. Ich bin der Märchenerzähler.“ (S.322)
„Und dann geschah etwas Unerwartetes. Die Trostlosigkeit zerbrach.“ (S.39)
Anna ist gefesselt vom Märchen, dass Abel fortführend durchs ganze Buch erzählt. Doch wie in jedem Märchen steckt auch hier ein wahrer Kern. Und schon bald beginnt sie zu erahnen, wo Fiktion und Wirklichkeit sich vermengen. Wo eine Geschichte, die das Leben schreibt, gewaltiger und ergreifender ist, als jede Fantasie. Eine Geschichte voller Zerbrechlichkeit.
Eine Geschichte, die tief unter die Haut geht, von Liebe und von Zweifel und einer scheinbar unüberbrückbaren Kluft zwischen zwei Welten.
„Da sind zu viele Dornen auf der Insel der Rosenleute“ (S.270)
Eine Geschichte, die sie wie ein Sog in einen Strudel hineinzieht. Der sie sich nicht mehr entziehen kann. Um zu retten, um festzuhalten, um zu lieben, um ein Stück Würde zu schützen, um ein kleines Stückchen „heile Welt“ wiederherzustellen.
Doch was, wenn diese Geschichte so leise ist, dass sie eigentlich ganz laut schreit? Was, wenn diese Geschichte anders ausgeht, als erhofft?
Mit Der Märchenerzähler ist der Autorin wirklich eine meisterhafte Verwebung von Märchen und ernster Thematik gelungen, es ist viel mehr als nur ein „Thriller“, denn diese Bezeichnung (aus dem Klappentext) trifft es nur im Ansatz.
Was dieses Buch so besonders macht, ist gerade das, was zwischen den Zeilen steht. Was zwischen den Zeilen herausschreien mag und doch ganz, ganz leise und beinah ungesagt bleibt.
Eine bildgewaltige Geschichte voller Gefühl und zugleich Spannung.
Kunstvoll, sprachgewaltig, sozialkritisch, erschütternd. Voller Gegensätze und voller Verständnis.
Aber auch eine Geschichte, die mit voller Wucht trifft und die viel mehr zu sagen hat, als nur die Worte, die niedergeschrieben sind.
Mich hat das Buch sehr, sehr bewegt!
Liebe Kathrin (Jep heute Abend nehm ich mir endlich endlich Zeit für die Nachricht)
Jetzt hab ich endlich diesen Beitrag con dir ge lesen und ich habe den märchenerzähler nun auch zuhause- du hast ihn mir ja sejr eindringlich empfohlen
Wunderschöne Worte.❤
Ich freue mich schon sehr auf das lesen ?
Liebste Grüße Nessi von Nessis Bücher ❤❤❤
Hey Nessi, danke für deinen lieben Kommentar:) Ja, ich denke, dass dieses Buch dir auch gefallen könnte (und auch wieder sehr nah gehen könnte)! Ich bin gespannt auf deine Meinung! Jetzt hast du das Buch ja schonmal zuhause – viel Spaß beim Lesen 🙂 Liebe Grüße, Kathrin
Genau solche Bücher sind doch diejenigen, die beim Leser viel Eindruck hinterlassen. Sie inspirieren und genau deshalb, liebe ich solche Bücher! Eine tolle Buchbeschreibung ist dir da gelungen! lg Nadine von Nannis Welt
Hey Nadine, vielen Dank:) Ja, das stimmt! Das ist diese Art von Büchern, wegen denen ich lese:-) Die in mir ganz viel anrühren, die ganz tief drinnen ankommen und einen nicht mehr loslassen… Liebe Grüße!
Hallo Kathrin,
ich habe diese Geschichte vor ein paar Jahren gelesen, noch vor meiner Bloggerzeit, und deshalb gibt es auch keine Rezi dazu. Ich weiß aber, dass ich gefesselt und abgestoßen zugleich war! Die Geschichte in der Geschichte, die Abel erzählt hat, faszinierte mich. Sie zeichnet sich von immenser Sprachgewalt aus. Doch das Ende hat mich kaputt gemacht. Ich war und bin heute noch zwiegespalten, wie ich dazu stehe. Und die Frage bleibt, was darf Literatur für, die für Jugendliche geschrieben wird? Darf sie das Geschehene so stehenlassen?
Das war mein erstes und bisher letztes Buch der Autorin. Ich würde gerne ein weiteres lesen, kann mich jedoch nicht entscheiden. Hast du nen Tipp, eine Empfehlung?
GlG vom monerl
Hey! Ja, ich hab es auch schon vor ein paar Jahren gelesen. Aber nun nochmals. Und fand es jetzt sogar noch besser. Aber ja, es ist eine heftige Geschichte. Trotzdem finde ich sie auch sehr wichtig in der Botschaft…. „Das Institut der letzten Wünsche“ (ein Buch für Erwachsene von Antonia Michaelis) war eigentlich auch recht gut zu lesen, aber mir fehlte noch ein bisschen mehr Emotion. „Nashville“ wäre vergleichbar mit dem Märchenerzähler vom Stil (wenn auch nicht ganz so heftig am Ende, wenn ich mich recht erinnere, auch schon ein bisschen her^^) Aber da war auch viel Zwischen-den-Zeilen-lesen angesagt:)