Hanser-Verlag | Belletristik, Jugendbuch | 2017 | 288 Seiten
John Green ist seit seinem Bestseller „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ als einer der Top-Jugendbuchautoren bekannt. Wenngleich ich seine Bücher gelesen habe, konnten sie mich bisher nicht zu 100 % überzeugen und mir fehlte immer das gewisse Etwas.
Das hat sich mit diesem Buch geändert!
„Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ ist grandios geschrieben – sensibel und feinfühlig, sprachlich großartig – poetisch und philosophisch.
Ich hatte mir so viele tolle und kluge Zitate rausgeschrieben, dass ich euch hier nur eine kleine Auswahl davon zeigen kann. Es erinnerte mich etwas an Jostein Gaarders „Das Orangenmädchen“ – und doch auch wieder nicht 🙂
Aza ist anders – sie kann nicht so unbeschwert durchs Leben gehen wie andere. Denn immer wieder gibt es Situationen, in denen ihre Gedankenspiralen in Form von Zwangsgedanken losgehen. Im Gegensatz zu ihrer Freundin Daisy, die immer einen witzigen Spruch parat hat und bei der alles rund läuft. Und im Gegensatz zu Davis, der das große Glück hat, mit einem reichen Vater aufgewachsen zu sein, so dass er nun in einer tollen Villa leben kann und sich keine Sorgen um seine Zukunft machen muss.
Oder?
Und während Daisy sich voller Begeisterung und Hoffnung auf eine Belohnungsprämie in die Idee, den verschwunden Vater von Davis zu finden, stürzt, fechtet Aza vor allem innere Kämpfe aus und versucht über ihre Gedanken Herr zu werden.
Doch das ist gar nicht so leicht.
„ Ich kannte das Gefühl – ich konnte mein Leben lang nicht geradeaus denken oder auch nur einen Gedanken zu Ende denken, weil meine Gedanken keine Linien, sondern ineinander verknotete Schleifen waren, Treibsand, Wurmlöcher, die alles Licht verschluckten.“ (S.114)
Wie kann man überhaupt voll und ganz man selbst sein, wenn doch der Organismus und der Kopf einfach mal zeitweise das Ruder übernehmen, ohne dass man Einfluss darauf nehmen kann?
„Ich bekam die Zügel meiner Gedanken nicht zu fassen, die im Galopp durch mein Gehirn preschten.“ (S. 156)
Aber wer ist denn dann das eigentliche ICH? Unsere Zellen kommunizieren immerhin ohne unser Zutun. Was sagen Gedanken, die kommen und gehen, über uns aus? Und wieviel Widerstand kann man ihnen überhaupt entgegensetzen?
„Das wahre Grauen ist nicht, Angst zu haben; es ist, keine andere Wahl zu haben.“ (S. 27)
Sind wir nur die Summe einer Folge von Umständen um uns herum?
Kann man überhaupt sich selbst gehören?
Und ist das überhaupt von Bedeutung – vom Universum und den Sternen aus, die Lichtjahre entfernt und damit doch schon Teil der Vergangenheit sind, betrachtet? Angesichts dessen, dass alles nur eine Momentaufnahme ist?
Denn:
„…jetzt ist nicht immer. […] Jetzt ist jetzt.“ (S. 156)
„Am Ende, als wir nicht weitergehen wollten, setzten wir uns auf eine Bank mit Blick auf den Fluss, dessen Wasserstand niedrig war, und sie sagte zu mir, dass Schönheit vor allem eine Frage der Achtsamkeit sei. >Der Fluss ist schön, weil du ihn ansiehst<, sagte sie.“ (S. 61)
John Green gibt uns einen überaus sensiblen und intimen Einblick in die Welt von Aza und ihre Zwangsgedanken. Die inneren Wortgefechte, die sie führt, um sich gegen ihre Gedanken zur Wehr zu setzen. Die Überflutung und Überwältigung mit Gedanken und Gefühlen. Ihre teils vergeblichen Versuche, ihren Gedanken nicht ausgeliefert sein zu müssen, das alles stellt er wirklich auf sehr feinfühlige Art und Weise dar.
Das Thema der Zwangsgedanken fand ich wirklich extrem gut beschrieben – was ich in dieser Art noch in keinem anderen Jugendbuch über die Thematik auch nur annähernd so gelungen empfunden habe!
Die Metaphern waren einfach so treffend, z.B. die Schneeflockenmetapher…
Er sprach mir oftmals aus der Seele – denn leider ist mir selbst das Thema auch gar nicht so fremd, wie mir eigentlich lieb wäre….
Aber genauso wichtig wird es für Aza im Laufe des Buches sein, zu erkennen, dass sie aufgrund ihrer Ängste nicht an Wert verliert, dass sie nicht weniger liebenswert ist und nicht weniger stark als die anderen. (Und dass auch die anderen ihre dunklen Stunden haben …)
„Die Wörter (Sammelbegriffe wie Störung und andere Bezeichnungen für Krankheiten) benennen auch nicht die Tapferkeit der Menschen,
die diese Leiden ertragen.“ (S. 92)
Sprachlich und inhaltlich liegt hier ein Meisterwerk vor, voller Poesie und Philosophie, mit klugen Dialogen und Metaphern und einer feinfühligen, glaubwürdigen Darstellung des Innenlebens von Aza und ihrer Zwänge – und einem poetischen und kreativen Einblick in Davis‘ und Daisys Gedankenwelt.
Über die Angst sich zu verlieren und die Sehnsucht sich zu finden.
John Green hat einen weiteren Fan! 🙂
Das ist witzig. Ich habe auch von Green viel gelesen und fand dieses. Ich recht schwach.
Eine wie Alaska und Papertown sind meine Favoriten von ihm.
Viele liebe Grüße
Silvia
Klar, das ist natürlich Geschmacksache. Mich sprach dieses eben gerade auch aufgrund des persönlichen Bezugs heraus so sehr an – oft so treffend formuliert, dass ich innerlich so oft „Ja!“ rief. Und ich mag das „Zwischen den Zeilen lesen“, wie es hier so toll möglich ist, sehr gern:)