Divan Verlag | Belletristik | 2018 | 300 Seiten
Wer meinen Blog verfolgt, hat ja schon mitbekommen, dass ich bereits einige Bücher zum Flüchtlingsthema gelesen (und auch vorgestellt) habe.
Momentan findet ihr übrigens bei Monerl, Petrissa und Daniela eine Blogtour zum Thema Syrien!
Hinterhofleben habe ich selbst vor einiger Zeit auch bei einer Blogtour gewonnen 🙂 und war sehr gespannt auf die Geschichte.
„Was passiert mit einer Hausgemeinschaft, wenn auf einmal statt Mülltrennung Weltpolitik diskutiert wird? Die Linde im Hinterhof grünt gerade erst, als die Bewohner der Nummer 68 im Prenzlauer Berg entscheiden, dem syrischen Kriegsflüchtling Samih Unterschlupf zu bieten.“
Jedoch geht jeder mit seinen eigenen Erwartungen an die neue Situation heran.
Dies führt nicht nur untereinander zu Spannungen, sondern macht es auch Samih nicht einfach, sich zuhause zu fühlen.
Dieses Buch gleicht einem dramatischen Theaterstück, das verschiedenste Positionen der Flüchtlingsdebatte in den einzelnen Bewohnern karikiert. Da sind die, welche offen ihre Ablehnung oder Skepsis äußern, die welche zwar nach außen hin Offenheit vorgeben, hinter verschlossenen Türen aber anders denken. Die, welche Samih wie jeden anderen behandeln, aber dabei seine schrecklichen Erlebnisse lieber ausklammern und tabuisieren. Die, die ihr eigenes Selbstwertgefühl aufpeppen, indem sie darin eine Aufgabe sehen, die ein Stück weit auch idealisieren oder romantisieren.
Die, die mit Neugierde herangehen und ein neues Abenteuer wittern. Und die, die spotten und belächeln.
Niemand kann ganz unvoreingenommen an die Sache herangehen. Und so nimmt das Drama seinen Lauf, bis es sich letztendlich zuspitzt zum unweigerlichen Ende.
Ich fand Hinterhofleben gerade deshalb so besonders, weil es die einzelnen Facetten wirklich sehr gut herausarbeitet. Wenn man glaubt, man kenne die Positionen, die es bei dieser Frage gibt, wird man eines Bessern belehrt: denn auf den ersten Blick ist es gar nicht so leicht, zu erkennen, wer nun „dafür“ und wer „dagegen“ ist. Und so entpuppt sich mancher sonst so spöttische Bewohner plötzlich als jemand Weitsichtiges, und andere wiederum als gar nicht so offen, wie vermutet – oder zumindest nur so lange, wie es die eigene Komfortzone nicht antastet.
Samih hält jedem Bewohner einen Spiegel vor. Dabei steht Samih stellvertretend für das Wort „Flüchtling“. Denn dieses Wort kreist eigentlich über allem. Und so entstehen ganz schnell auch Schubladen und ein jeder kategorisiert seine eigenen Vorstellungen, wie ein Flüchtling ist oder zu sein hat.
Diese nicht immer ganz reflektierten Vorannahmen, die oftmals auf einem diffusen Gefühlsgemisch beruhen, beeinflussen wiederum den Umgang und die Art und Weise, wie auf „Flüchtlinge“ zugegangen wird. Doch genau dadurch, wird vergessen dass es eben nicht „den Flüchtling“ gibt. Dass es „nur“ Menschen gibt. Menschen mit einer Geschichte, Menschen mit Stärken und Schwächen, Menschen, die lieben und die leiden und das (Über-)Leben irgendwie meistern (müssen).
Nur ganz wenigen Bewohnern fällt es leicht, sich selbst zurückzunehmen. Nur wenige fragen wirklich nach der Geschichte von Samih – fragen ihn selbst. Zu groß ist die Scheu davor mit eigenen Gefühlen konfrontiert zu werden. Trotzdem: jeder hat etwas zu sagen, ohne jemals direkten Kontakt gesucht zu haben. Es wird argumentiert und sich verlassen auf Gehörtes, auf Zeitungs- und Fernsehberichte, auf Gerüchte – und die Meinung scheint gerechtfertigt. Doch wenn es darum geht, wirklich einen Kontakt herzustellen, dann verstummen die Worte ganz schnell. Dann setzt sich Ignoranz durch. Und so zeigt sich die Geschichte analog zu unserer Gesellschaft.
Ich finde das Fazit hier sehr gelungen, der Dialog auf beiden Seiten lässt zu wünschen übrig. Bei den Befürwortern und bei denen, die ablehnen. (Und vergessen wird dabei oftmals, dass es auch noch eine dritte Stimme gibt: nämlich die, über die wir reden, ohne sie dabei mit einzubeziehen. Die ihren Teil dazu beitragen möchte, wenn man sie denn liesse.)
Es sind oftmals die eigenen Ängste und Nöte, die behindern. Und daher bleiben Geschichten oftmals ungehört. Oft wird den eigenen Ängsten zu wenig ins Auge gesehen, stattdessen diese lieber im Außen bekämpft – oder kompensiert – in beiden Fällen verdrängt. Wo ignoriert wird, kann nicht gelöst werden. Wo verdrängt wird, kann nicht gesehen werden. Wo weggesehen wird, kann auch kein Verständnis aufgebracht werden – nicht für die Sehnsüchte, aber auch nicht für die Ängste der anderen Positionen. Egal, welcher Art diese sind.
Maik Siegel hat wirklich sehr differenziert, manchmal komisch und trotzdem sehr ernsthaft einzelne Facetten der „Flüchtlingsthematik“ herausgearbeitet, seine Geschichte ist lebendig, ein Spiegel für die Gesellschaft, für den Leser und sehr einfühlsam geschrieben.
So bleibt am Ende auch die wichtigste Botschaft des Buchs haften: „Hör den Menschen zu!“
Liebe Kathrin,
erstmal herzlichen Dank für die Verlinkung!
Das Buch hört sich richtig mega spannend an und ich werde es mir gleich auf die WuLi setzen.
Vielen Dank für die Vorstellung!
Liebste Grüße
Petrissa
Ja, sehr gerne! Ich fand euer Projekt auch sehr gut, ihr habt euch da ja echt Mühe gegeben – und da hat es thematisch ja auch super gepasst zu diesem Buch:-)