T.J. Klune
Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte
Roman/Fantasy, Heyne, 2021, 480 Seiten
„Es sind die kleinen Dinge. Kleine Schätze, auf dir wir unvermutet stoßen, ohne zu wissen, woher sie stammen. Und stets dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Eigentlich wunderschön, wenn man einmal darüber nachdenkt.“
(S. 314)
Genau so erging es mir mit „Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte“!
Fantasy-Lektüren sind momentan ja nicht meine erste Wahl, wie mein Blog ja schon vermuten lässt;) Aber manchmal mache ich eben dann doch eine Ausnahme …
Wahrscheinlich hätte ich also nicht so schnell zu diesem Buch gegriffen, wenn mir nicht die vielen begeisterten Stimmen dazu aufgefallen wären. Ja – zwischen den Seiten verbirgt sich wirklich ein wahrer Schatz an klugen Worten, Weisheit, Herzenswärme und Magie, eine so zauberhafte Geschichte, die ich so, nach dem Klappentext, nicht erwartet hätte. Eine Geschichte, die mir so richtig ans Herz ging.
Wirklich – wunderschön!
Worum geht es?
„Es fühlte sich an, als hätte er hier erst gelernt, die Welt in Farbe zu sehen.“ (S.292)
„Er fühlte sich echt. Präsent. Fast so, als würde er von anderen wahrgenommen.“ (S.141)
Linus Bakers Leben ist ziemlich eintönig, ereignislos und vorhersehbar – und das ist auch gut so, denn so bleiben ihm schließlich auch unangenehme Überraschungen erspart.
Der unscheinbare 40-jährige Eigenbrötler hat sich in seinem Außenseiter- und einsamen Single-Dasein mittlerweile weitgehend eingerichtet. Tagsüber arbeitet er für die „Behörde für die Betreuung magisch begabter Minderjähriger“, bei der er für die Qualitätsüberprüfung von Waisenheimen zuständig ist. Bei seinen Beurteilungskriterien kommt es allerdings wenig auf zwischenmenschliche Töne an (ja, diesen begegnet er sogar relativ gleichgültig). Nein, am Verlässlichsten sind da allgemeine Regeln und Normen, das ist ohnehin am sichersten, zumal er sich nach seinen abschließenden Urteilen ja auch nicht mit weiteren Verantwortlichkeiten und Gedanken über Konsequenzen herumschlagen muss. Und so widmet er sich in seiner Freizeit am liebsten der Lektüre von „Vorgaben und Verordnungen“. Doch dann bekommt er einen Sonderauftrag für die Überprüfung eines ganz besonderen Heims: das Waisenhaus des Mr. Parnassus. Und da zeigt sich, dass die vermeintlich sichere Blase, in die sich Linus so lange eingebettet hat, zu platzen droht …
Erfrischend anders
Welch eine herzerwärmende, berührende Geschichte steckt hier zwischen den Buchdeckeln!
Das bunte Cover springt sofort ins Auge und genau das ist Programm:
Diese Story ist erfrischend anders, ganz sanft und leicht, überaus phantasievoll und detailreich und mit einer ganz herrlichen Art eines eigenen Humors. Sie ist unvorhersehbar und außergewöhnlich, so dass ich immer wieder aufs Neue überrascht wurde und einfach nur Staunen konnte über so viel Kreativität.
„Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte“ verspricht nicht nur ein quietschbuntes, sprühendes Lesevergnügen, sondern kommt auch noch mit einer Botschaft daher: es sind so viele kluge Sätze und wunderbare Metaphern enthalten. Damit ist die Erzählung Unterhaltung und Spiegel zugleich, gesellschaftskritisch, aber unglaublich fantasievoll verpackt.
Die Charaktere sind, nun ja, ungewöhnlich, eben einfach anders. Doch jedes Wesen ist in seiner Art so einzigartig und individuell, wie man eben nur sein kann und auf seine Art und Weise liebenswert, dass es wirklich Spaß macht, mehr und mehr Facetten zu entdecken und dabei zu sein, wie sie Stück für Stück zu sich selbst finden. Und wie sie auch einander besser kennen und wertschätzen lernen. Jeder einzelne Charakter ist so liebevoll und detailreich gestaltet. Besonders die Kinder sind so echt und unverstellt. Es gibt auch eine kleine queere Lovestory, die zwar nicht im Zentrum steht, aber wunderbar einfühlsam eingewoben ist und die Botschaft des Buchs unterstreicht.
Es geht um Vorurteile und Ausgrenzung, um Zusammenhalt und Individualität. Es geht darum, den Filter, den wir über das Leben gelegt haben, mal wegzunehmen und offen und neugierig zu sein, auf das, was sich dann zeigt. Es geht darum, dass Vertrauen in sich selbst und die eigene Identität und Individualität zu bewahren und den Mut zu haben, zu sich selbst zu stehen.
„Kinder sind wesentlich aufmerksamer, als wir es ihnen immer zugestehen.“ und sie brauchen „…einen Ort, den sie als Zuhause betrachten können, in dem sie einfach sie selbst sein können (…)
Diese Kinder werden ständig mit vorgefassten Meinungen konfrontiert, jeder glaubt zu wissen, wer sie sein müssten. (S.160)
„Sie haben es doch selbst gesagt: Lucy war nicht, was Sie erwartet hatten, was bedeuten muss, dass Sie bereits eine feste Vorstellung von ihm im Kopf hatten. Wie können wir gegen Vorurteile ankämpfen, wenn wir nichts tun, um sie zu verändern?“ (S.160)
Verbindung schafft Lebendigkeit
„Wie sollst du die Kinder denn einschätzen können, wenn du dir nicht einmal die Zeit nimmst, sie kennenzulernen? Sie sind menschliche Wesen, Linus.“ (S.229)
Wenn sich Kinder schon früh in ein vorgeschriebenes Dasein fügen sollen, sich anpassen müssen, verleugnen sie immer auch ein Stück weit ihr wahres Wesen und können ihr Potential nicht entfalten. Sie verlieren an Lebendigkeit und an Kreativität.
Wenn wir uns als Menschen auf eine Weise begegnen, bei der wir eine Erwartungshaltung aus Narrativen und Vorannahmen zugrunde legen, bei der wir uns in ein Korsett aus normativen Regeln pressen (lassen müssen), verlieren wir die Möglichkeit echter Herzensverbindungen.
Vielleicht ist es manchmal ganz gut, sich zu trauen, ein bisschen aus der Reihe zu tanzen, offen zu sein, denn dann werden wir unseren eigenen Wesenskern vielmehr entdecken, werden wir zu uns selbst finden können. Und vielleicht können wir dann auch die Welt und die anderen mit ganz neuen Augen entdecken? Vielleicht steckt hinter so manchem Vorurteil, hinter so manchem Verharren in Vorannahmen und lange gehegten Überzeugungen auch Angst, Angst vor dem Unbekannten, Angst, was sich dann zeigen könnte. Aber macht nicht erst die Vielfältigkeit unsere Welt so bunt und lebendig und ist es nicht unsere Einzigartigkeit und Individualität, mit der wir einander bereichern und voneinander lernen können? Egal, woher wir kommen, wer wir sind, wie wir aussehen, was wir gerne mögen, so vereint uns letztendlich alle dieser eine Wunsch: dazuzugehören, so wie wir sind, mit all unseren Facetten. Es braucht nur einen Raum, in dem wir diese auch entdecken können. Und mit ein bisschen Herzenswärme können wir die Freude darüber dann sogar mit anderen teilen.
„Hass ist immer laut, aber bestimmt wirst du irgendwann erkennen, dass dem nur so ist, weil da wenige Menschen brüllen, die verzweifelt nach Aufmerksamkeit suchen. Du kannst ihre Ansichten vielleicht nicht ändern, aber solange dir bewusst ist, dass du nicht allein bist, wirst du es überstehen.“ (S.279)
„Veränderung begann mit den Stimmen einzelner“ (S.369)
Fazit:
„Mr. Parnassus‘ Heim für magisch begabte Kinder“ von T.J. Klune ist eine wunderschöne, einzigartige Geschichte voller Magie und Fantasie über das Anderssein und den Mut zu haben, zu sich selbst zu stehen.
Eine Geschichte über Toleranz, Freundschaft, Zusammenhalt, Liebe, Selbstannahme und Selbstvertrauen, unglaublich liebevoll und detailreich gestaltet, mit so vielen klugen Worten und Metaphern. Ein bisschen Spiegel, ein bisschen gesellschaftskritisch, vor allem aber eine herzerwärmende Geschichte, die für sich selbst steht.
Ein Must-Read für alle Altersgruppen!