Heyne Verlag | Sachbuch | 2020 | 368 Seiten
Unbezahlte Werbung – Rezensionsexemplar:
Ich danke dem Heyne Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars.
Dies beeinflusst meine Meinung zum Buch nicht.
Hui, was für ein umfassendes Werk habe ich da gelesen!
Zum Thema Zucker gibt es so viel zu sagen, dass auch mein Beitrag heute wieder mal etwas länger wird.
(Für eilige Leser: Mehr zum Buch findet ihr weiter unten)
Das Thema gesunde Ernährung, insbesondere auch Zucker in der Ernährung beschäftigt mich schon seit einigen Jahren und ich werfe gerne mal einen Blick auf die Zutatenliste und Nährwerttabellen bei Lebensmitteln.
Angefangen hat es mit einer Fructoseunverträglichkeit (die sich zum Glück mittlerweile wieder gelegt hat), später beschäftigte ich mich mit basischer Ernährung (in der ja auch u.a. auf industriellen Zucker verzichtet wird) sowie der Vital- und Mineralstoffversorgung allgemein und zuletzt wieder in der Schwangerschaft, als ich für die Geburtsvorbereitung den Zuckerkonsum ganz bewusst zurückgefahren habe (denn die geburtswirksamen Hormone Prostaglandine nutzen die selben Rezeptoren wie Insulin und wenn sie zu wenig Andockstellen vorfinden, kann das schmerzverstärkend wirken).
Leider erwische ich mich aber auch immer wieder, wie ich in einem stressigen Alltag vermehrt zu Süßigkeiten greife und das stört mich gewaltig.
Ich gehöre zwar zu den Glücklichen, die essen können was sie wollen und nicht zunehmen, von daher ist das nicht der Grund. Das Wissen, dass Zucker meinem Körper einfach überhaupt nicht gut tut, weil er ein stark saures Milieu erschafft, was der Ausgangspunkt für viele Erkrankungen ist, allein reicht für mich aus, dass ich mich damit gar nicht wohl fühle.
Zudem merke ich den Unterschied immer gewaltig an meiner Haut, die je höher der Zuckerkonsum ist, umso unreiner wird.
All das Wissen aus meinen Beschäftigungen im Hinterkopf, achte ich daher auch besonders auf die Ernährungsweise und Versorgung meines Kindes. Ich habe nur wenige Male ein Gläschen gekauft. Und ich war darüber erschrocken, als ich bei einem als „Hirsebrei mit Früchten“ deklarierten Gläschen (ich hatte es wegen der Eisenversorgung geholt), hinten drauf sah, dass der Hirseanteil nur 5% betrug und der Rest aus Mango und Bananen bestand! Ich hatte auch nur deshalb auf die Zutatenliste geschaut, weil ich mich wunderte, dass ich beim Probieren überhaupt keine Hirsekörnchen schmeckte! Was für ein Schwindel! Das kann ich dann auch selbst machen! Und dann ist auch wirklich Hirse drin!
Daher war ich sehr gespannt, auf die druckfrische Lektüre von Marianne Falck, die als Journalistin, aber auch als Mutter seit über 15 Jahren über das süße Gift mit all seinen Fallstricken drumherum recherchiert. Und nach der Lektüre konnte ich erneut mit Erschrecken feststellen, wie viel geschwindelt wird, wie schnell wir der Werbeindustrie auf den Leim gehen!
Die vermeintlichen gesunden Reiswaffeln für Babys umgedreht, entdeckte ich nämlich, dass der Zuckeranteil sehr viel (!) höher ist, als bei einer ganz normalen Reiswaffelpackung! Das hätte ich nie gedacht!
Reiswaffeln, beides Bioqualität, links normale Reiswaffeln mit 0,7 g Zuckeranteil pro 100 g,
rechts deklariert für Babys mit natürlicher Apfelsüße 11,7 g Zuckeranteil pro 100 g
Unser Zuckerkonsum – eine erschreckende Bilanz
Die Forscher sind sich mittlerweile einig: Zucker ist ungesund und macht krank.
Er ist einer der größten Risikofaktoren für chronische Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Alzheimer und Herz-Kreislauf- sowie Stoffwechselstörungen. Und er ist auch die Hauptursache für Übergewicht allgemein und bei Fettleibigkeit und Lebererkrankungen von Kindern und Jugendlichen (weshalb man auch beim Zucker vom Alkohol der Kinder spricht). Und doch ist unsere Ernährung komplett überzuckert.
Die WHO empfiehlt mittlerweile unseren Zuckerkonsum drastisch zu reduzieren.
Erwachsene sollen am besten max. 25 g zugesetzten Zucker pro Tag konsumieren. Kinder die Hälfte, was ca. dem Zuckergehalt entspricht, der in einem kleinen Fruchtjoghurtbecher enthalten ist.
Bereits ein Glas Apfelsaft enthält 25 g Zucker! Wow!
Doch, wenn wir hochrechnen, werden wir schnell merken, dass wir auf weitaus mehr kommen. Denn nicht nur in Süßigkeiten, auch in Obst- Gemüsekonserven, Aufstrichen, Fertiggerichten, Saucen, herzhaften Knabbereien, Brot und Getränken steckt er: in nahezu allem, was industriell verarbeitet ist, ist Zucker drin. Bei 80% unserer Lebensmittelprodukte ist er zugesetzt. Dabei gibt es ca. 70 verschiedene Bezeichnungen, was es ohne Wissen darum gar nicht so leicht macht, ihn zu identifizieren.
Die Zuckerlobby und der mündige Verbraucher
Ein großes Interesse, dass dies unübersichtlich bleibt, haben natürlich auch die Industrie und die Zuckerlobby.
Unsere Ernährungsvorlieben und unser Geschmackssinn entwickeln sich bereits in den ersten Lebensmonaten. Und spätestens im Schulalter sind die Kleinsten auch schon potentielle Kunden mit ihren Taschengeldkäufen. Früh investieren lohnt sich also für die Unternehmen.
Die Ernährungsforschung ist stark von den Industrieinteressen geleitet, viele Studien sind dabei industriefinanziert. Für Marketingzwecke werden allerhand Strategien angewendet: ein besseres Gesundheitsimage oder ein erhöhter Spaßfaktor für Kinder, da wird mit Worten getäuscht und mit Stickern, bunten Comic- bzw. Sammelfiguren gelockt. Die Verantwortung wird dabei stets den Eltern zugeschoben, sie können ja lesen, was drin ist! Doch ein Blick in die Gesellschaft und hinter die Kulissen der Lebensmittelwerbeindustrie zeigt, dass dieser Ansatz zum Scheitern verurteilt ist.
Dass es auch anders geht, sich etwas ändern kann, zeigt ein Blick in lateinamerikanische Länder: nämlich dann, wenn sich die Politik dafür stark macht.
Als mündiger Verbraucher fehlt uns eins: Korrekte Informationen sowie echte Wahlfreiheit.
Z.B. in der Schwangerschaft: Wusstest ihr, dass Zucker die Gefahr möglicher Wassereinlagerungen erhöht, da er Wasser bindet? Oder der Zuckertest: Ich selbst habe den Zuckertest z.B. abgelehnt, da ich auf eine ausgewogene Ernährung achte, so wie auch Dt. Hebammenverbände raten, aber viele wissen nicht, dass diese Art von Test wenig Aussagekraft hat und gleichzeitig aber auch wieder ein Hinweis auf unsere überzuckerte Ernährung ist.
In Krankenhäusern und Schulen, wo in Automaten stets Süßigkeiten statt gesunder Nahrung angeboten wird.
In Restaurants, wo für Kinder oft ausgerechnet nur Süßspeisen oder Fast-Food-Gerichte angeboten werden.
In Kitas, Sportvereinen und Schulen, wo die Unternehmen präsent sind mit ihren Marketing-Programmen.
Vor allem aber betrifft es den Beikostbeginn: Während die WHO nämlich ausschließlich Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten empfiehlt, verkauft uns die Industrie etwas anderes.
Beikost – Verführung von Anfang an
Kinderlebensmittel unterliegen keinen besonderen Schutzbestimmungen oder Richtlinien, weder bei Fett-, Zucker- und Salzgehalt (welche in den meisten Fällen zu hoch sind), noch bei Vitaminzugaben und sind auch nicht angepasst an den kindlichen Nährstoffbedarf.
Strategien der Werbung durch irreführende Aufschriften, wie „für Kinder“, „ab dem vierten Monat“, „,mit natürlicher Fruchtsüße“ etc. gaukeln allerhand Richtlinien und gesunde Produkte vor, haben aber nichts mit dem gemein, was gut für die Kleinsten wäre.
Im Gegenteil: nicht nur dass die Produkte oft teurer und durch Portionierung einzeln verpackt sind (und daher mehr Müll produzieren), sog. Health Claims gaukeln vermeintlich gesunde Produkte vor, die aber bei genauerem Blick gar nicht halten, was sie versprechen. Z.B. Fruchtriegel und Konsorten mit Slogans, wie „mit natürlicher Fruchtsüße“ beinhalten oft lediglich hochkonzentrierte Formen von Zucker durch hohe Verarbeitung von Obst, mit wertvollen Vitaminen oder Ballaststoffen der Früchte hat das aber nicht mehr viel zu tun, diese sind kaum noch enthalten. Die Mär vom gesunden Fruchtriegel, Quetschie und auch Saft ist also nichts als eine Verbrauchertäuschung.
Zum Buch
Marianne Falck ist selbst Mutter von zwei kleinen Kindern. Als Journalistin beschäftigt sie sich seit über 15 Jahren mit dem Thema des Zuckers in unserer Ernährung, als auch mit dem Lobbyismus in der Ernährungsindustrie.
Ihre Erkenntnisse aus ihren Recherchen und der natürliche Wunsch als Mama, den Kindern das Beste mitzugeben, veranlassten sie dazu, auch anderen Eltern das Thema nahezubringen, zu informieren, um selbstverantwortlich und mit gutem Gewissen einkaufen, kochen und unsere Kinder versorgen zu können.
Ihr Anliegen ist es, aufzuklären, wo noch Informationsbedarf besteht, denn Zucker geht uns alle an. Denn er ist in nahezu 80% unserer Lebensmittel versteckt. Und als Verbraucher werden wir nahezu verführt, ihn in überhöhtem Maß zu konsumieren. Wenn wir nicht achtgeben. Dabei geht es eben nicht um das kleine Stückchen Schokolade zwischendurch, sondern um ein Bewusstsein für die vielen versteckten Süßmacher und die Strategien der Nahrungsmittelindustrie.
Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft und daher sollte es unser Anliegen sein, sie zu ernähren und nicht, sie zu verführen. (S.115)
Zu Beginn des Buchs bringt die Autorin also ihre Argumente vor für eine bewusste, zuckerarme (oder -freie) Ernährungsweise. Und da findet sich natürlich sogleich etwas, was einen näheren Blick lohnt: nämlich unsere Gesundheit. Auch die vermeintlich gesünderen Zucker – Traubenzucker und Fruchtzucker, sowie Süßstoffe kommen hier nicht gut weg, was die Autorin auch gut begründet, indem sie uns Einblick in die Verstoffwechselungsarbeit unseres Körpers gibt.
Danach eröffnet sie einen Blick hinter die Kulissen der Lebensmittelindustrie, in Werbestrategien und -mittel, insbesondere auch bzgl. der Kleinkindnahrung, in Lobbyeinflüsse bestimmter Wirtschaftszweige, wobei sie kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, die Machenschaften der Zuckerlobby aufzudecken, was sie auch mit vielen Quellenverweisen im Anhang untermauert. Die Mär vom mündigen Verbraucher wird hier ordentlich durch den Kakao gezogen.
Des Weiteren beschreibt sie auch ausführlich, wie es zur Mär vom „bösen Fett und guten Zucker“ kam und warum Kalorien nicht gleich Kalorien sind. Sehr spannend fand ich zu erfahren, warum es nicht nur darauf ankommt, ob die Fett- oder die Kohlenhydrataufnahme höher ist und welche Rolle der Eiweißgehalt dabei spielt (Proteinhebeleffekt).
Zucker versteckt sich hinter ca. 70 verschiedenen Bezeichnungen. Da durchzublicken ist erstmal schwierig, wenn man Nährwerttabelle und Zutatenliste richtig deuten möchte.
So räumt Marianne Falck umfassend auf mit sämtlichen Etikettenschwindeln und spricht alles an, was es rund um dieses Thema im Alltag ganz praktisch zu bedenken gibt:
Was sind Einfach- und Mehrfachzucker, wohinter verbirgt sich Zucker, wohinter Süßstoffe, welche Zuckeraustauschstoffe gibt es, welche Zuckerfallen? Wie sieht es mit Stevia aus oder mit Agavendicksaft und wie deute ich die Nährwerttabellen richtig? Wie verhält es sich bei Saft? Und bedeutet „Bio“ auch gleich weniger Zucker?
Auf was kommt es noch in einer gesunden, ausgewogenen Ernährung an? Umfangreiche Tipps zum Einkaufen, zur Umsetzung mit Kindern oder Jugendlichen schließen das Ganze ab. Rund wird das Buch durch den 50-Seiten langen Rezeptteil (nicht vegan, aber abwandelbar), der auch gut im Alltag umsetzbar ist (keine zu exotischen Rezepte).
Fazit
„Zuckerfrei von Anfang an“ hat mich wirklich super aufklären können und genau das gemacht, was die Intention der Autorin war: mein Bewusstsein noch mehr für den versteckten Zucker in unseren Lebensmitteln zu schulen – und für das, was wir unseren Kindern geben!
Von den gesundheitlichen Auswirkungen eines hohen Zuckerkonsums, über die Werbestrategien der Lebensmittelindustrie, insbesondere auch bei Kleinkindernahrung, bis hin zu Rezepten und konkreten Hilfen sich im Zuckerdschungel zurecht zu finden, hat mich das Buch wirklich umfassend informiert und bereichert!
Lediglich etwas schade fand ich, dass sich die Autorin in ihren Querverweisen häufig auf Diabetes und Fettleibigkeit bezieht, denn ich hätte gerne noch etwas mehr über die Auswirkungen von Zucker im Gehirn und auf unsere Psyche erfahren (you know, it’s my passion 😉 )
So oder so reicht aber das umfangreiche Werk aus, mich zu motivieren, meinen Zuckerkonsum und den meines Kindes in Zukunft noch bewusster zu gestalten!
Nicht nur für Eltern interessant!
Übrigens: Kennt ihr schon den Dokumentations-Film „Voll verzuckert?“
Mich hat er damals sehr beeindruckt!
Wie ist das bei euch?
Habt ihr schon mal böse Überraschungen gehabt beim Blick auf die Nährwerttabelle?
Achtet ihr auf Eure Ernährung? Ersetzt ihr Zucker? Was sind denn Eure Tipps oder Lieblingsrezepte?
Ich mache schon sehr gerne meine Müslimischungen und Joghurts selbst, mit allen möglichen Pulvern und Samen, haha. Ich liebe Nußmuse und Braunhirsemehl für die Nähstoffversorgung.
„Nice-Cream“ haben wir schon einige Male gemacht: mit tiefgefrorenen Beeren und Bananen – ich liebe es!
Und seit der Schwangerschaft trinke ich außer Zitronensaft keinen Saft mehr (Soft Drinks waren sowieso nur Ausnahmen), und esse auch vermehrt Schokolade mit einem hohen Kakaoanteil (70% oder mehr, aber ich liebe sowieso dunkle Schokolade 😉 )