oekomVerlag | Sachbuch | 2017 | 204 Seiten
Ich habe in letzter Zeit ja einige Bücher zu unseren Ökosystemen gelesen und auch schon vorgestellt.
Darunter:
Meer: Das große Buch der Ozeane
Wiese: Die Wiese
Wald (im Zusammenhang mit der Klimakrise): Der Baum
Das Thema des Klimawandels ist mittlerweile ja in den öffentlichen Medien präsenter geworden.
Vom Artensterben hat zwar sicherlich auch schon jede/r einmal gehört (zumindest im Zusammenhang mit den weniger verschmutzten Autofrontscheiben oder möglicherweise noch, wenn es ums Bestäuben und den Verlust von Bienen geht …)
Jedoch bekommt diese Thematik lange nicht so viel Aufmerksamkeit, wie sie eigentlich bräuchte. Denn es geht nicht nur um die Bienen allein …
Doch wie entwickelte sich das?
Das Artensterben und der Biodiversitätsverlust sind eigentlich gar nicht so überraschend, denn seit vielen Jahrzehnten schreitet dieser Prozess voran. Allerdings schleichend. Und so fanden Mahnungen von Fachleuten oft selten Gehör, drangen Warnungen aus Fachkreisen gar nicht bis zur Gesellschaft vor.
Erste Veränderungen der Artenbestände hat man bereits im Lauf des 19. Jahrhunderts registriert, zur Zeit der Agrarrevolution, bei der eine immer schnellere Umwälzung stattfand, die die traditionelle Form der Landnutzung grundlegend veränderte und letztendlich heute ihren Höhepunkt in der Agrarindustrie erreicht hat.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu ersten Naturschutzgesetzen und 1977 erschien erstmals die Rote Liste für Deutschland, eine Liste mit den gefährdeten Arten, die im Lauf der Zeit immer länger wurde.
In den letzten 50 Jahren verzeichneten wir einen beschleunigten Rückgang und einen enormen Schwund an Biomasse der Fluginsekten (um 70–80% , je nach Region).
Neben Bienen (die übrigens nicht die einzigen Insekten sind, die zum Bestäuben beitragen), Libellen, Fliegen betrifft das auch Schmetterlings-, Käfer-, Spinnen- und Heuschreckenpopulationen.
Mit ihnen verschwinden Vögel, Fische, Reptilien und andere Tiere, die sich von ihnen ernähren.
Auch errichtete Naturschutzgebiete „schützen“ dabei nicht ausreichend, da sie oft nur kleine Inseln darstellen innerhalb einer Agrarlandschaft, einer Kulturlandschaft des Menschen – die Ausbreitung und Durchmischung bleibt aufgrund der unüberbrückbaren Distanzen untereinander aus.
Wir sind alternativlos
Im Lauf der Erdgeschichte kam es immer wieder dazu, dass Arten ausgestorben sind und neue entstanden sind. Dass es sich heute nicht um natürliche Schwankungen der Populationsgrößen handelt, ist mittlerweile gut erforscht.
Forscher sind sich einig:
In drei Kategorien sind die planetaren Belastungsgrenzen unseres Planeten bereits maßlos überschritten:
- beim Klimawandel
- beim Stickstoffkreislauf (die extreme Umweltbelastung durch Überdüngung)
- beim Artensterben
Wesentliche Triebkräfte dabei sind v.a. die intensive industrielle Landwirtschaft, der Raubbau an natürlichen Ressourcen und der Flächenfraß allgemein.
Wir befinden uns derzeit mitten im sechsten Massensterben der Erdgeschichte. Der Verlust der Artenvielfalt ist alarmierend. Und ebenso die Geschwindigkeit mit der es geschieht. Damit einher gehen der Verlust von Lebensräumen (Wälder, im Ozean usw.) und invasive Arten. Bei alldem darf nicht vergessen werden – der Verlust von Schönheit, Farben und letztendlich auch unserer Gesundheit.
Anzeichen für Folgewirkungen in den Ökosystemen sind bereits sichtbar, die Biodiversitätskrise wird durch weitere globale Bedrohungen wie Klimaerwärmung und Ressourcenverknappung verstärkt. Die Ökosysteme hängen miteinander zusammen und das komplexe Zusammenwirken diverser Faktoren kann zum Kippen derselben führen, was den Kollaps unserer Zivilisation zur Folge hätte. Wir sind also gezwungen uns mit den Ursachen auseinanderzusetzen, denn wir haben keine Alternative, keinen Planeten B.
Das Buch
Totalausfall von Strom?
Ja, das können wir uns sehr gut vorstellen, welche weitreichenden Folgen das für uns heute hätte. Und das fühlt sich an wie eine Katastrophe. Aber was, wenn die Ökosysteme einen Blackout haben würden, wenn die „Natur total ausfallen würde“, weil Insekten verschwinden? Was würde das bedeuten?
Sollte uns das nicht zu denken geben?
Andreas H. Segerer ist Biologe und forscht zu Schmetterlingen an der Zoologischen Staatssammlung München.
Das spürt man auch im Buch, denn seine Leidenschaft für Schmetterlinge findet immer wieder Anklang und so erfahren wir z.B. auch, dass deren Arten in weiten Teilen einen Populationsverlust von über 90% erlitten haben.
Zu Beginn des Buchs geht der Autor auf den Farben- und Formenreichtum der Insekten ein und welche „Aufgaben“ sie neben dem klassischen Bestäuben unserer Nutzpflanzen, Bäume und Blumen, eigentlich noch erledigen, um die Ökosysteme und die Natur im Gleichgewicht zu halten und zu erhalten. Im Anschluss spielt er das obige fiktive Szenario einmal durch: Wie würde sich die Welt ohne Insekten verändern? Und was bedeutet das für den Menschen?
Darauf beginnt der eher wissenschaftliche Teil des Buchs, in dem die Entwicklung der Biodiversität über die Jahrhunderte beschrieben wird, warum es sich beim derzeitigen Artensterben nicht um reguläre Areal- und Bestandsänderungen, die alle paar Jahrzehnte vorkommen, handelt, welche Faktoren dafür verantwortlich sind und welche Gründe dahinterstecken, dass diese Tatsache viele Jahre kein Gehör in Politik und Gesellschaft fand.
Die Dringlichkeit der Thematik wird dabei immer wieder betont! Verständlich – wenn man sich damit näher befasst!
Daher fordert er auch ganz klar im weiteren Text eine politische Auseinandersetzung und eine Agrarwende. Insbesondere sollte das System der Agrarsubventionen revolutioniert werden, sowie Gesetze zum Pestizid-, Düngemitteleinsatz bzw. zur Stickstoffüberlastung und Gesetze zum Schutz der Ökosysteme zum Tragen kommen. Gleichzeitig sollten Gesetze, die die derzeitige Forschung des Artensterbens und der Arten erschweren, reformiert werden, genauso wie das Vorgehen in Schulen und Bildungseinrichtungen, um Kinder und Jugendliche vermehrt praxisbezogenes Wissen über die Natur und ganz besonders: Erfahrungen in und mit der Natur zu ermöglichen.
Dazwischen nimmt uns Herr Segerer immer wieder auf kleine Exkurse (Einschübe) zu wissenschaftlichen Themen.
Im zweiten Teil des Buchs wird es dann (wie im ersten Teil gefordert) dann auch praxisbezogener. Und so übernimmt hier die Feder Eva Rosenkranz, eine Literaturwissenschaftlerin, die sich aber nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat mit Gärten, Blumen und Bäumen beschäftigt und sich für die Natur engagiert. Sie gibt hier Anregungen für bienen- und insektenfreundliche Gärten, Vorschläge für eine nachhaltigere Agrarwirtschaft und stellt Initiativen vor, denen es bereits gelungen ist, erste Veränderungen anzugehen und Projekte, z.B. die sich für öffentliche Wildblumenwiesen einsetzen.
Das Buch wird ergänzt durch viele farbige Fotos und schließt mit Grafiken, die nachdenklich machen.
Fazit
Das Autorenduo von „Das große Insektensterben“ will deutlich machen, wie dringend Handlungsbedarf besteht und wie komplex die Zusammenhänge sind und dies gelingt ihm auf sehr deutliche, aber mitreißende Weise!
Das Insektensterben ist ein Indiz für eine ökologische Katastrophe erdgeschichtlichen Ausmaßes, die die Funktionalität unsere Ökosysteme bedroht und damit unsere eigene Existenzgrundlage. Beim Insektensterben geht es um mehr als nur um Bienen und bunte Blumen. Es geht um eine Zukunftsfrage der Menschheit.
Darum sollten wir handeln!
„Be the change you want to see!“
Das ist wieder ein toller Buchtipp, danach halte ich definitiv mal Ausschau. Bin nämlich wieder auf der Suche nach neuem Lesestoff! Danke <3
Liebst Elisabeth-Amalie von Im Blick zurück entstehen die Dinge
Ach, wie schön! Magst du auch so gerne Sachbücher momentan?;) Liebe Grüße