Aufbau Verlag | Sachbuch | 2017 | 384 Seiten
Kognitions – und Emotionsforschung bei Tier und Mensch: Haben wir als Menschen hierin Alleinstellungsmerkmale? Oder folgen wir nur einfach noch immer einem lange gehegten Glauben, dass wir als Krone der Schöpfung über andere Wesen urteilen und verfügen können?
Interessanterweise sind wir Menschen, die einzigen Lebewesen, die sich gerne über ihren natürlichen Fluchtreflex hinwegsetzen (z.B. Gruselfilme ansehen, Achterbahn fahren etc.), aber reicht dies aus, um von Überlegenheit zu sprechen? Wenn Tiere in der Kognitionsforschung bei Tests genauso gut abschneiden wie wir Menschen, welche Schlüsse können wir daraus ziehen? Wo stehen sie im Vergleich zu uns Menschen? Wie viel sagt es aus, wenn die Ähnlichkeit im Empfinden überhaupt erst der Grund ist, warum die Pharmaindustrie Psychopharmaka, die unsere Gefühlswelt beeinflussen sollen, an Tieren austesten kann (insbesondere an Fischen – aufgrund der neurologischen Nähe!)?
Karsten Brensing nimmt uns mit auf eine Reise in erstaunliche Erkenntnisse über die Tierwelt. Denken und Fühlen, Sprache, Sozialleben und Sexualverhalten werden hier sehr differenziert betrachtet.
Und er macht dabei erstaunliche Beobachtungen.
Von Kultur und Traditionen
Viele Tierarten haben eine ausgeprägte Kultur, d.h. es findet soziales Lernen statt, die Weiterbildung durch andere Artgenossen ohne genetisch vorprogrammiertes Verhalten. Doch sind dies alles nur instinktgesteuerte oder evolutionäre Programme?
Wie tief die kulturellen Traditionen verwurzelt sind, zeigt sich, wenn das Überleben der eigenen Population bedroht ist, jedoch theoretisch möglich wäre, dass bestimmte Tierarten, wie Delfine z.B. trotz Paarungsmöglichkeiten oder angebotener Nahrung selbst dann noch extrem zögerlich reagieren. Auch wenn sie sich z.B. bei Nahrung dazu durchringen können, vorübergehend ihre Vorlieben (aber nur so lange wie nötig!) hinten anzustellen, gehen sie sobald möglich, wieder zu ihren alten Traditionen zurück.
Wenn aber nützliches Verhalten entdeckt wurde, sind viele Tierarten z.B. Elefanten und Vögel, Wale und Delfine, durchaus in der Lage neues Verhalten nachzuahmen und dies auch über mehrere Generationen hinweg weiterzugeben. Da werden „Berufe“ und einzelne Spezialaufgaben verteilt, untypische Verhaltensmuster bei anderen abgeschaut, imitiert und in die eigene Population integriert. So ändern sich die Gesänge der Buckelwale z.B. alle 2-15 Jahre und die neuesten „Chart-Hits“ werden gerne mitgesungen und weitergetragen.
So fand ich es besonders spannend zu lesen, dass in Japan Krähen beobachtet wurden, die clever ihre Nüsse von Autos knacken lassen und zwar: an roten Ampeln (die es ja erst seit ein paar Jahrzehnten gibt), die beim Zurückholen der offenen Nüsse die Gefahr angefahren zu werden minimieren. Die Nüsse werden bei rot auf die Kreuzung gelegt und sobald die Ampel auf gelb springt, wird schnell weggeflogen und gewartet.
Wie wichtig kulturelles Erbe und ein soziales Netz allerdings sind, zeigt sich, wenn einzelne Tiere in Zoos nachgezüchtet werden und ausgewildert werden: die Integration gelingt nur sehr selten und zeigt sich als äußerst schwierig. Das beobachtete Verhalten sprach oftmals gegen die Evolutionstheorie, wo es schlicht um das Erhalten der Art und das eigene Überleben geht.
Sprache
Zum Erlernen von Sprache, wie wir es verstehen, ist es nötig, neue Lautsignale ins eigene Repertoire zu übernehmen und diese mit dem Gehörten abzugleichen und ein Leben lang zu erweitern …
Doch verhindert dies bei vielen Tieren die Anatomie oder fehlende neuronale Feedbackmechanismen (z.B. bei Hunden)
Gelingt aber die Interaktion der beiden Hirnareale für Hören als auch für Bewegung, ist es daher z.B. nicht verwunderlich, dass wir auf Youtube tanzende Kakadus (Snowball), oder sprechende Papageien finden können. Auch Delfine, Wale, Elefanten und vermutlich Hausmäuse hätten diese Fähigkeiten.
Bedeutet nun, dass sie nicht mit uns sprechen, dass sie weniger intelligent sind? Oder ist es vielleicht genau andersherum, und sie besitzen eine Fähigkeit, die uns eigentlich unterlegen macht!?
Elefanten und Bartenwale können sich im Infraschallbereich (unterhalb), Delfine, Fledermäuse und Mäuse können sich im Ultraschallbereich (oberhalb unserer Hörfähigkeit) unterhalten. Vielleicht ist das soziale Leben (z.B. bei Wölfen) und die Kommunikation bei Tieren einfach für unseren Verstand zu komplex – hochkomplex. 🙂
Vögel haben durchaus ein Verständnis einer Syntax – ihre Gesänge folgen Sätzen mit grammatikalischen Regeln wie man in Tests feststellen konnte! Erdhörnchen und Fledermäuse können sich gegenseitig an ihren Stimmen erkennen. Delfine geben sich Namen und unterhalten sich so auch mal über einen Nicht-Anwesenden Delfin.
Klingt unglaublich?
Aber damit nicht genug …
Denken und Gefühle
Wie schaut es mit Abstraktionen und Emotionen aus?
Ameisen können sich im Spiegel erkennen, Pferde sind zum Abstrahieren fähig und das episodische Langzeitgedächtnis einiger Tiere ist besonders gut ausgeprägt: So begraben Elefanten ihre Toten und „weinen“, suchen auch nach Jahren die Grabstätte erneut auf. Sie können sich an lange zurückliegende Ereignisse in Details erinnern.
Affen merken (sich) ungleiche Behandlung (und die entsprechenden Individuen!). Sie erklären sich solidarisch mit anderen bei Ungerechtigkeit und haben überdies hinaus auch ein Verständnis der Mengenlehre. Delfine merken sich Illoyalität bestimmter Artgenossen auch über Jahre hinweg, Ratten retten ganz uneigennützig andere aus einer Falle. Das Unterscheiden einzelner Individuen ist Grundvoraussetzung für ein Sozialleben. Ebenso das Eingehen kooperativer Handlungen. Dies fordert sowohl die Fähigkeit zu Abstraktion und planvollem Handeln, als auch ein lebenslanges Gedächtnis, und ein Selbstbewusstsein sowie die Vorstellung des Gegenübers. Diese kognitiven Leistungen sind bei den meisten Tierarten zu beobachten.
„Es sind also Tiere mit Selbstbewusstsein und Mitgefühl, einem lebenslangen Gedächtnis, oder besser, einer Biographie und einem Verständnis für Raum und Zeit, der Fähigkeit zu strategischem, planvollem und logischem Denken, einer einfachen Sprache mit grammatikalischen Regeln, einer Kultur und einem Verständnis für Fairness und Gerechtigkeitssinn. Ein großes Thema mit weitreichenden ethischen, aber auch juristischen Konsequenzen.“ (S.240)
Fazit
Karsten Brensing nimmt den Leser mit auf eine echt spannende Reise in die Tierwelt. Als Meeresbiologe führt er uns zwar oft ins Reich der Wale und Delfine, gibt aber auch faszinierende Einblicke in das Wesen von Bienen, Affen, Vögeln und Nagetieren. Er untersucht differenziert, unterscheidet zwischen Prägung, evolutionärer Anpassung, Nachahmung und logischem Denken ohne eine Vermenschlichung bei der Betrachtung und geht auch auf das Thema Forschungsfehler und Fehlinterpretation ein.
Nebenbei erfahren wir noch etwas über die Biologie von Bakterien und Neurologie beim Menschen. Zahlreiche farbige Fotos unterstützen das Geschriebene.
Abschließend formuliert Karsten Brensing noch ein paar kritische Worte zum Walfang, zur Treibjagd von Delfinen und zur Verhaltensforschung (denn natürlich und leider stammen auch einige Erkenntnisse aus dem Buch aus Tierexperimenten …)
Im Epilog wirft er letztendlich noch einen sehr wachrüttelnden Blick auf den derzeitigen Fleischkonsum und die Haltungsbedingungen von Nutztieren, v.a. von Schweinen.
Für mich war das dann auch nochmal ein sehr bewegendes Schlusswort, ein Statement zur gegenwärtigen Abwertung unserer Nutztiere und den Umgang mit ihnen, sowie die absurden verachtenden Tier“schutz“gesetze, auf die sich berufen wird.
Aber auch ein Plädoyer für die Rechte von Tieren und für ein qualitatives Leben von allen Lebewesen – um mit den Worten Kants zu schließen „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“
Das Buch hat mich sehr beeindruckt und ich muss nach wie vor oft an das Gelesene denken, Es schafft auf jeden Fall ein größeres Bewusstsein und bereicherte mich mit interessantem Hintergrundwissen!
Eine klare Empfehlung!
Hallo Kathrin,
vom Sehen kenne ich das Buch, glaube ich. Ich finde so was auch äußerst spannend und man ist da manchmal echt sprachlos!
Kennst Du die Bücher von Peter Wohlleben? Da habe ich mal das über den Wald als Hörbuch angefangen und war einfach nur tiefst fasziniert. (Ich musste es dann wieder in die Bücherei geben. Muss es wohl nochmal holen.)
Und das hier notiere ich mir auch.
Danke für die Vorstellung
Petrissa
Hey Petrissa, ich finde das Thema auch sehr faszinierend und daher stehen auch noch weitere zum Thema auf meiner To-Read-Liste, u.a. auch drei Bücher von Peter Wohlleben:) Gelesen habe ich noch keines von ihm, aber darüber auch schon viel Gutes gehört!
Liebe Grüße, Kathrin
Solche Bücher liest meine Mutti sehr gern, daher werde ich mir deinen Beitrag mal merken und in meinem Kopf als Geschenkidee abspeichern. 🙂
Liebst Elisabeth-Amalie von Im Blick zurück entstehen die Dinge
Hallo Elisabeth-Amalie, schön, dass du mich hier mal wieder besuchst! 🙂
Es gibt sogar inzwischen noch ein weiteres Buch zum Thema vom Autor, welches ich auch noch auf meiner Liste stehen habe. (Ein etwas älteres Buch von ihm habe ich noch gelesen, aber dieses greift eigentlich die Themen nochmals komplett auf und dazu noch ausführlicher, so dass dieses hier dabei eigentlich ausreicht…) Aber es ist auf jeden Fall sehr spannend, wenn man sich für die Tierwelt interessiert! lg